Am 04.04.04 starb John William

Am 04.04.04 starb John William – ein Mensch der 2002 in das so genannte Ausreisezentrum Halberstadt eingewiesen wurde – im Alter von 49 Jahren

„Das Schlimmste ist, und es tut uns leid dies sagen zu müssen, aber das

Schlimmste ist, dass wir als Menschen im 21. Jahrhundert mit Methoden des Jahrhunderts der Lager zum Verraten unserer selbst gezwungen werden sollen. Bilder der vollen Flüchtlings- und Gefangenenlager sind immer sehr eindrucksvoll, wenn sie aus der Ferne kommen.

Wir leben hier in Halberstadt in einem Ausreiselager …von Ausländerbehörden nach einem uns nicht erkennbaren Schlüssel ausgewählt und eingewiesen, unter anderem deshalb, weil wir „gewaltlos sind, sozial verträglich“ wie es im Amtsdeutsch heißt – Halberstadt zumutbar.

Wir wollen als Menschen die Sehnsucht nach Freiheit nicht nur in den Köpfen haben sondern leben.“

Menschen aus dem Lager

Europa wird immer mehr zu einer Festung, deren Mauern für Asylsuchende kaum überwindbar sind. Schafft mensch es trotz aller Schwierigkeiten nach Deutschland zugelangen beginnt hier oft ein jahrelanges Martyrium von Verhören, Unterbringung in meist baufälligen Unterkünften und völliger Unsicherheit über die weitere Zukunft. Seit Jahren leben Menschen unter uns deren Leben darin besteht, ein Bett zum Schlafen zu haben, Bekleidung aus der Kleiderkammer, Essen so viel – das sie nicht verhungern, eine medizinische Versorgung die ausschließlich verhindern soll, das sie sterben. Die Stadt Halberstadt dürfen sie nicht verlassen. Diese Menschen erhalten nicht ein Cent Geld, dürfen sich auch durch Arbeit keins verdienen, selbst Briefumschläge, Briefmarken und Telefongespräche werden diesen Menschen verweigert.

Menschen ohne Papiere ohne gültigen Ausweis. Der Vorwurf der Ausländerbehörden lautet, dass diese Menschen ihre Identität verschleiern würden.

Durch das Innenministerium von Sachsen-Anhalt wurde im Januar 2002 eine so genannte „Zentrale Ausreiseeinrichtung“, in der offiziellen Terminologie der Behörden auch mit GU -ZASt (Gemeinschaftsunterkunft – Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber) bezeichnet, in Halberstadt eingerichtet. Die Zielstellung bestehe darin, durch eine „intensive soziale Betreuung“ die „Mitwirkungspflicht bei der Passersatzbeschaffung“ durch die Flüchtlinge zu erreichen.

Das Abschiebelager befindet sich ca. 7km weit außerhalb von Halberstadt. Gemeinsam mit der ZASt ist es in einer ehemaligen Kaserne der NVA untergebracht.

Die Maßnahmen der „intensiven sozialen Betreuung“ sehen beispielsweise so aus, dass die Residenzpflicht strikt auf die Stadt Halberstadt begrenzt wird. In der Verschärfung des Erlasses zur Ausreiseeinrichtung wurde besonders verfügt, dass Urlaubsanträge „sehr restriktiv zu handhaben seien.“ Urlaubsanträge haben nichts mit Urlaub zu tun sondern sind Anträge der Flüchtlinge die Stadt Halberstadt zu verlassen, um z.B. Bekannte in einer anderen Stadt besuchen zu dürfen. Die Duldung – das ist die Aufenthaltserlaubnis -müssen sich die Flüchtlinge wöchentlich, teilweise sogar im Tagesrhythmus durch die Ausländerbehörde verlängern lassen.

Die medizinische Versorgung wird nur für das Allernotwendigste gewährt. Es gibt keinen Arzt/Ärztin im Lager, sondern nur eine Krankenschwester, von der sich die Flüchtlinge begutachten lassen müssen, um über einen sehr bürokratischen Weg einen Krankenschein – das ist auch kein „normaler“ Krankenschein sondern die Berechtigung sich von einem/r Arzt/in behandeln zu lassen – erlangen. Dann müssen sie sich auf einem ca. 7 km langen Fußmarsch begeben, um endlich vom zuständigen Arzt behandelt zu werden.

Viele Flüchtlinge im Lager sind krank. Neben physischen Leiden stehen vor allem die psychischen im Vordergrund, wie Schlafstörungen, Angst und Depressionen.

John Williams, der zwei Jahre im Ausreiselager lebte, verstarb am 4.April 2004. Bis heute ist die Frage, welche Auswirkungen die Lebensbedingungen vor Ort auf seinen Krankheitsverlauf hatten, nicht vollständig geklärt.

John Williams kam aus dem Sudan in die BRD um einen Asylantrag zu stellen. Die Ausländerbehörde jedoch behauptete das John Williams aus einem anderen Land käme. Die Ursache ist eindeutig. Käme er aus dem Sudan hätte er auch einen Anspruch auf Asyl gehabt. Der Asylantrag wurde abgelehnt und John Williams wurde durch einen Bescheid des Landkreis Anhalt- Zerbst 19.03.2002 in das Abschiebelager Halberstadt eingewiesen.

Die Behörde führte aus: „Vor diesem Hintergrund ergibt sich nunmehr die Notwendigkeit intensiver zielgerichteter behördlicher Maßnahmen zur Beschaffung des für Ihre Ausreise erforderlichen Heimdokuments. Dafür bietet die landeseigene Einrichtung der GU- ZAST die notwendigen Voraussetzungen. Dies erfordert Ihre Verpflichtung, in der dortigen Unterkunft Wohnung zu nehmen, um für die künftigen Maßnahmen jederzeit zur Verfügung zu stehen. Zur Verwirklichung dieses aufenthaltsrechtlichen Zwecks dient auch die auf den Bezirk der Ausländerbehörde Halberstadt bezogene räumliche Beschränkung der Duldung. Sie soll als flankierende Regelung die Durchsetzung und Beschleunigung der vorgesehenen Maßnahmen gewährleisten. Sie ist nicht unverhältnismäßig, da sie sich als geeignetes Instrumentarium erkennbar gegen Ihr missbräuchliches Verhalten richtet. … Denn die in der GU- ZAST durchzuführenden Maßnahmen zur Passbeschaffung, die keinen weiteren Aufschub dulden, bedingen insbesondere den Einsatz entsprechender persönlicher und sächlicher Mittel, die nur vor Ort in quantitativer und qualitativer Ausgestaltung vorhanden sind.“(Rechtsanwalt Breuer)

Die Maßnahmen die in der Abschiebeeinrichtung zur Feststellung der Identität durchgeführt werden bestehen u. a. darin, die Menschen die dort leben ständigen Verhören zu unterziehen. Auf der Grundlage von Sprachgutachten soll die Identität geklärt werden. Hinzu kommen regelmäßige Vorführungen vor den Botschaften der jeweiligen Länder. John Williams wurde der sudanesischen Botschaft vorgeführt, also der Botschaft des Landes aus der er nach eigenen Angaben geflohen war. Die Botschaft behauptete John Williams würde nicht aus dem Sudan kommen. Die Situation in der sich die Flüchtlinge befinden ist eindeutig. Egal was sie zu ihrer Verteidigung sagen – alles ist Lüge. Die Definitionsmacht über Identität liegt ausschließlich bei den Ausländerbehörden und Botschaften.

“Gegen Herrn Williams wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er als Nationalität Sudan angegeben hatte und somit eine mittelbare Falschbeurkundung begangen habe. Es erging gegen ihn ein Strafbefehl über 40 Tagessätze a 5,00 EURO. Herr Williams hat diese Strafe durch gemeinnützige Arbeit im Zeitraum 20.08.- 14.10.2003 bei dem „Plansch“ e. V. in Halberstadt abgeleistet. Im April 2003 fand nochmals eine Botschaftsvorführung bei der nigerianischen Botschaft statt, und zwar erneut erfolglos.“(Rechtsanwalt Breuer)

Im Frühjahr 2004 erkundigte sich der Rechtsanwalt von John Williams nach dem Verbleib seines Mandanten, der sich längere Zeit nicht gemeldet hatte. Erst nach mehrmaligen Nachfragen wurde dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass John Williams am 4.04.2004 verstorben sei. Im Januar 2003 hatte John Williams beantragt medizinisch untersucht zu werden.

Dies wurde in Schreiben des Landkreises Anhalt- Zerbst abgelehnt. (Rechtsanwalt Breuer)

Der Verlauf der Krankheit

Die ersten Anzeichen der Krankheit wurden von Mitbewohnern auf den August 2002 datiert. Das Gedächtnis, seine Fähigkeit zu Schreiben und seine Sehkraft haben immer mehr nachgelassen. Alles Hinweise auf eine ernst zu nehmende Erkrankung. Dennoch muteten die Behörden ihm zu, eine Arbeitsstrafe in Halberstadt abzuleisten, wofür er täglich mit dem Fahrrad die 7 km lange Strecke im Winter hinter sich bringen musste.

Insgesamt wird John Williams als ein sehr ruhiger, freundlicher, älterer Mann beschrieben, der für die anderen Bewohner eine Art Vaterfigur darstellte. Sein körperlicher Verfall führte zu großer Sorge bei seinen Freunden. So haben diese, ihn aufgrund der Tatsache, dass er am Ende nahezu blind war, auch nachts zu Toilette begleiten müssen.

Laut Berichten, wurde eine Einweisung von Herrn Williams ins Krankenhaus vom zuständigen Sozialamt abgelehnt. Dies ist umso glaubhafter, als dass das Sozialamt später versuchte, Herrn Williams von der Intensivstation des Krankenhauses Halle/Dölau zu entfernen, was nur durch ärztlichen Widerstand verhindert werden konnte. Dies zeigt welche verheerenden Auswirkungen die Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene für die Betroffenen haben.

Im Dezember 2003 verschlechterte sich sein Zustand. William litt an Übelkeit, Schwäche und Schmerzen. Im Sommer 2003 kam ein zunehmender Verlust des Augenlichtes hinzu. Ende 2003 war er kurz in krankenhausärztlicher Behandlung, wurde aber Weihnachten 2003 zurück ins Abschiebelager entlassen, obwohl er weder essen noch sehen konnte und bis auf die Knochen abgemagert war. Dort blieb er, bis ein Freund Anfang des Jahres 2004 aufgrund seines Zustandes den Notarzt rief.

Nach einem einwöchigen Aufenthalt in dem Krankenhaus in Halberstadt wurde Herr Williams dann wieder in das Ausreiselager zurück verlegt.

Nach einigen Tagen- Frühjahr 2004 – suchte Herr Williams das Gesundheitsamt in der ZASt Halberstadt auf und wurde wieder ins Krankenhaus überwiesen. Nach Aufenthalten in unterschiedlichen Krankenhäusern, erreichte er das Krankenhaus Halle/Dölau im Koma. ( Initiative zur Schließung des Abschiebelagers)

John Williams wurde stillschweigend in Kleinwanzleben bei Magdeburg auf der Urnengemeinschaftsanlage – der so genannten Grünen Wiese – anonym bestattet. Einen Versuch seine Verwandten, seine Familie lebt im Sudan und Freunde/innen darüber zu informieren, gab es vom Land Sachsen Anhalt nicht.

Die Zielstellung des Lagers ist eindeutig. Die Flüchtlinge sollen solange sanktioniert werden, bis sie eine Identität annehmen, die sie abschiebefähig macht. Die Maßnahme ist im Gegensatz zur Abschiebehaft zeitlich unbefristet und unterliegt keiner öffentlichen Kontrolle. Über 50 % der eingewiesenen Flüchtlinge haben inzwischen ein Leben in der Illegalität begonnen, und das ist offensichtlich auch, durch das Innenministerium, so gewollt. Sowohl die linke als auch bürgerliche Öffentlichkeit schweigt ohne sich mit den Menschen aus den Abschiebelager zu solidarisieren. In Halberstadt sind diese Menschen isoliert.

Für die Schließung aller Abschiebelager!

Gegen rassistische Flüchtlingspolitik!

Hoch die internationale Solidarität!

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