Samstag, 19. Juni 2010
Friede unter den HüttenbewohnerInnen – Kampf der Macht der Reichen![1]
Die Reichen töten unsere Welt. Die Reichen in der Wirtschaft, in den Regierungen und in der Zivilgesellschaft zerstören unsere Welt. Sie zerstören unsere Welt mit einem „Top-Down-System“ und indem sie Geld mehr Bedeutung geben als den Menschen.
Seit 2005 leisten wir als Abahlali baseMjondolo (Bewegung der HüttenbewohnerInnen) Widerstand. Wir kämpfen für Gleichheit und Würde. Wir kämpfen dafür , dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Jede Person hat das gleiche Recht, sich an allen Entscheidung zu beteiligen, die diese Person betreffen. Jede Person hat das gleiche Recht, an allen Diskussionen teilzunehmen und muss sich in sie einbringen können, ohne Furcht haben zu müssen. Alle Menschen haben dasselbe Anrecht auf Gerechtigkeit und Würde, wo immer sie auch geboren wurden. Das Land und der Wohlstand dieser Welt müssen gerecht unter den Leuten dieser Welt geteilt werden. Natürlich wollen wir nicht, dass die Reichen den Besitz an Land und Wohlstand monopolisieren. Aber wir wollen auch nicht, dass der Staat das Land und den Wohlstand für die Leute besitzt. Wir wollen, dass die Leute die Segnungen und Früchte dieser Welt direkt besitzen und verwalten. Einige von uns nennen das lebendigen Kommunismus.
Die Politik der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit geht viel weiter, als die Frage danach, wie die Regierung gezwungen werden kann, ihre Versprechen auf öffentliche Versorgung zu erfüllen. Aber unsere Politik ist die gelebte Politik der Armen, von den Armen, für die Armen. Und deshalb muss sie beginnen mit den Forderungen, die am wichtigsten sind für uns, und die innerhalb unserer Reichweite liegen. Wir wollen nicht um des Kämpfens willen kämpfen. Wir kämpfen, um zu gewinnen, Schritt für Schritt. Die Forderungen, mit denen wir einmal begonnen haben sind und bleiben:
– Land und anständige Häuser in unseren Städten für alle
– Schluss mit den Umsiedlungslagern und den Zwangsräumungen
– Ende der falschen und ungerechten Verteilung der Häuser, durch die Regierung, Schluss mit dem Betrug und der Korruption
– Die Bereitstellung einer Grundversorgung, d.h. von Müllabfuhr und Elektrizität für alle, Verkehrserschließung für alle Siedlungen, Wasser und sanitäre Anlagen für alle
– Sicherheit für Frauen – überall
– Ein Ende aller Formen der bewußt erzeugten_ _Politik der Angst. Das heißt, dass es vollständige Freiheit für alle geben muss, sich selbst auszudrücken und sich selbst zu mobilisieren, ohne Angst vor Angriffen, Verhaftungen, Arbeitsplatzverlust oder der Zerstörung unserer Häuser.
Nach den jüngsten Angriffen auf unsere Bewegung fordern wir auch:
– Politische Freiheit in der Kennedy Road Siedlung und in allen anderen Siedlungen
– Die sofortige Freilassung der 5 politischen Gefangenen und sofortige Einstellung der Verfahren gegen alle 12 politisch Beschuldigten von Kennedy Road.
– Die Rückkehr des „Kennedy Road Development Committee“[2], seiner Familien und all derer, die durch die staatlich gedeckten gewaltsamen Angriffe auf die „Kennedy Road“-Siedlung im September des letzten Jahres vertrieben wurden.
– Die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die den Angriff auf die Siedlung „Kennedy Road“ untersucht.
Es ist unsere Gewohnheit – unsere gute Gewohnheit – immer dann, wenn wir eine Einladung unserer Genossen an irgendeinen Ort annehmen, eine Versammlung abzuhalten, bei der wir alle unsere Gedanken, Gefühle und unsere Erfahrungen mit denen austauschen können, die ausgewählt werden, unsere Bewegung zu repräsentieren. Die beiden GenossInnen, die wir delegiert haben, Deutschland zu besuchen, Richard Pithouse und Zodwa Nsibande, sind hoch respektierte Veteranen unserer Bewegung. Über fünfzig GenossInnen haben sich heute mit ihnen getroffen, um ihren Besuch in Deutschland zu besprechen.
Bevor wir jedoch darauf weiter eingehen, möchten wir uns bei den deutschen GenossInnen für die Unterstützung bedanken, die sie uns zukommen ließen, als wir mit Repression konfrontiert wurden. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, was ohne eure Unterstützung gewesen wäre. Ebenso möchten wir uns bei unseren deutschen GenossInnen für die warmherzige Gastfreundschaft bedanken, die sie Louisa Motha, Mnikelo Ndabankulu, David Ntseng und Mazwi Nzimande in Brasilien[3] zuteil werden liessen. Und wir möchten auch jenen GenossInnen aus Österreich danken, die unsere Erklärungen ins Deutsche übersetzt haben. Es gibt viele, die etwas für die Armen tun wollen – doch es bedarf besonderer Menschen, die mit den Armen zusammen einstehen. Solidarität mit den organisierten Armen ist etwas etwa anders als die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, die für die Armen denken und sprechen wollen. Misereor gebührt unsere Dankbarkeit und unser Respekt für die Unterstützung der selbst-organisierten Armen.
Busiswe Mdlalose, Thembani Ngongoma und Philani Zungu sind gerade von Italien zurück gekehrt. Zuvor waren GenossInnen unserer Bewegung zu Gast in Brasilien, England, Thailand, Amerika, Kenia, Zimbabwe und der Türkei. Wir haben in all diesen Ländern jetzt neue GenossInnen. Wir haben wahrgenommen, dass unser Bewegung eine Hoffnung für die Armen in allen diesen Ländern wird. Zuerst dachten wir, dass wir in diese anderen Länder gehen würde, um von anderen Kämpfen und Bewegungen zu lernen. Doch wir haben bemerkt, dass zumeist die Leute etwas von uns lernen wollen.
In England sahen wir Bilder und Statements aus Motala Heights auf den Wänden des besetzten „Social Center“ in Camberwell. In Italien haben wir unsere Worte, mit denen wir auf die fremdenfeindlichen Angriffe in Südafrika im Jahr 2008 reagiert haben, auf einem Flugblatt gegen Fremdenfeindlichkeit in Italien wiedergefunden. Wir erkannten, dass unser Kampf und unsere Erklärungen international geworden waren.
Das ist für uns eine echte Herausforderung für uns. Denn während wir unsere Stimmen erhoben haben, während wir viele Siege feiern konnten, und wir die Repression bis jetzt überlebt haben, leben wir noch immer in Hütten und Transit-Lagern. Wir verbrennen noch immer in unseren Hütten[4]und wir müssen in den Transit-Lagern noch immer ohne jede Arbeit überleben. In den Umsiedlungs-Lagern werden noch immer die Frauen vergewaltigt und unsere Großeltern leben noch immer im Dreck. Die Repression, die wir aushalten mussten, hat unsere Bewegung getroffen, was bedeutet, dass wir sehr viel Zeit und Geld für Gerichtsverfahren ausgeben mussten. Einige von uns leben nach wie vor im Exil – fernab ihres Zuhauses. Wir müssen mit ansehen, wie einige Leute unserer Communities ihre Menschlichkeit verloren haben. Wir bekommen mit, dass noch immer viele Leute nur mit ihren Köpfen denken und nicht mit ihren Herzen. Wir sehen, dass noch immer viele von den politischen Parteien und ihren Parolen geblendet werden.
Es bleibt deshalb eine andauernde Herausforderung für uns, Räume zu schaffen und zu erhalten, in denen in allen unseren Communities miteinander diskutiert werden kann, um die politischen Ideologien zu entlarven, damit die Menschen für sich selbst denken können, und nicht länger zulassen, dass politische Parteien und andere Organisationen für sie denken. Die Menschen müssen erkennen, was sie tun, warum sie es tun und für wessen Interessen sie ihre Politik durchsetzen.
Wenn wir eine Bewegung sind, die Erfahrungen vermitteln kann, dann ist es die, dass es ein sehr weiter Weg dazu ist, bis die Armen wirkliche Macht besitzen. Auch wenn wir eine echte Bewegung geworden sind, „starke Arme“ wurden, unsere Stimmen erhoben haben, echte Siege erringen konnten und die Repression überlebt haben – wir sind immer noch arm. Wir sind noch immer in Gefahr, angegriffen zu werden. Und auch das schnelle Anwachsen unserer Bewegung hat Probleme mit sich gebracht, denen wir uns geduldig und vorsichtig widmen müssen.
Bei unseren Reisen haben wir entdeckt, dass manche Dinge überall dieselben sind, z.B. das allgegenwärtige „Top-Down-System“, bei dem Politiker für die Armen entscheiden, ohne ihnen zu erlauben für sich selber zu diskutieren und zu entscheiden. Und überall nutzen die Gebildeten ihre Bildung eher dazu, Ausbeuter der Armen zu werden, anstatt den Kampf der Armen zusammen mit den Bewegungen der Armen zu führen. Überall werden die Gesetze, die ImmigrantInnen betreffen, härter und der Druck auf Flüchtlinge und EinwanderInnen wird beständig grösser. Überall versuchen politische Parteien und Nichregierungsorganisationen die sozialen Kämpfe für ihre eigenen Interessen zu kooptieren. Überall finden die lokalen Kämpfe isoliert statt, sind auf das Überleben ausgerichtet, ohne Ressourcen, sich mit anderen Kämpfen zu verbinden.
Wir statten unsere GenossInnen nicht nur mit einem sorgfältigen Mandat für ihre Reise aus. Nach ihrer Rückkehr sollen sie ebenso sorgfältig aus ihren Gastländern berichten. Oft erhalten wir ermutigende Nachrichten über GenossInnen an irgendeinem Ort, die kämpfen wie wir kämpfen. Doch dann finden wir keine Möglichkeit zu einer andauernden Zusammenarbeit. Die Frage, wie wir unsere Kämpfe mit einer gelebten Solidarität miteinander verbunden halten können, ist eine der Fragen, an denen wir unbedingt weiter arbeiten müssen. Es ist schön, von Zeit zu Zeit eMails zu erhalten und zu schreiben, aber das ist keine gelebte Solidarität.
In unserem eigenen Land weisen wir die Nichtregierungsorganisationen und die politischen Führer zurück, die unsere Kämpfe für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren wollen. Wir arbeiten aber mit allen Organisationen zusammen, die dazu bereit sind, gemeinsam zu kämpfen ohne die Identität und die Autonomie der beteiligten Bewegungen in Frage zu stellen. So geschieht es mit anderen Bewegungen in der „Poor People’s Alliance“. Einige Bewegungen aus Amerika haben angefragt, ob sie der Allianz beitreten können. Doch es ist unklar, wie wir über solche Entfernungen in wirklichem Kontakt bleiben sollen, während wir zumeist mitten aus einer Krise heraus arbeiten müssen und wir oft sogar zu wenig Geld haben, unsere allerwichtigsten Ausgaben zu decken. Wir müssen diskutieren, wie wir alle unsere Bewegungen zusammenbekommen können, ohne unsere Autonomie an Nichtregierungsorganisationen abzugeben.
Derzeit besteht ein echtes Interesse an unserem Land – Südafrika – weil dort die Fussball-Weltmeisterschaft stattfindet. Die Leute, die uns die Weltmeisterschaft verkauft haben, haben uns erzählt, dass sie uns Jobs und ein Ende des Hüttenlebens bringen würde. Sie haben gelogen. Wir haben jetzt weniger Jobs und mehr Baracken, als zu der Zeit, als sie uns das alles erzählt haben. Die Armen haben nichts von dieser WM. Wenn sie vorüber sein wird, werden wir immer noch in Hütten und Umsiedlungs-Lagern leben. Unsere Regierung hat uns und unser Land an die FIFA verkauft. Unsere Regierung hat die FIFA auch als Werkzeug benutzt, weitere Attacken gegen die Armen auszuführen. Die Straßenverkäufer und Sicherheitsleute leiden im Moment besonders. Das ganze Geld, das für den Worldcup verschwendet wurde – all die Milliarden – , ist Geld, das den Armen gegeben hätte werden müssen. Es hätten solche Häuser für Fans und Teams gebaut werden müssen, die nach dem Ende der WM den Armen zur Verfügung gestellt worden wären. Stattdessen wurde es ein Worldcup für Reiche von Reichen.
Oft gibt man uns das Gefühl, dass unsere Regierung und andere Eliten von uns in Verlegenheit gestürzt werden – und dass sie uns deshalb am liebsten in einem großen Loch in der Erde begraben würden. Aber es ist uns sehr wichtig, dass die Menschen wissen, dass wir vor der WM aus unseren Hütten geworfen wurden, und dass wir auch nach der WM weiter hinausgeworfen werden. Die internationalen Menschenrechtsorganisationen und Zeitungen erzählen über Südafrika nicht die Wahrheit, wenn sie so tun, als hätten alle Vertreibungen nur etwas mit der Weltmeisterschaft zu tun. Wir können die WM nicht für alle unsere Schmerzen verantwortlich machen, weil wir wissen, dass unsere Schmerzen weitergehen werden, wenn sie vorbei ist. Tatsächlich kämpft Abahlali baseMjondolo aktuell gegen 99 verschiedene Vertreibungen – einige davon betreffen eine große Anzahl von Familien. Keine dieser Vertreibungen steht in Zusammenhang mit dem Worldcup. Das wirkliche Problem ist, dass wir nicht anerkannt werden, als Menschen, die zählen.
Die offiziellen lokalen Parteivertreter geben vor, in unserem Interesse zu sprechen, doch sie unterdrücken uns. Sie sind Teil des „Top Down Systems“ und nicht Vertreter eines „Bottom Up Systems“. Wir werden nicht wahrgenommen, weil wir in einem „Top Down System“ einfach nicht vorkommen. Das ist der Grund, warum wir unsere eigene Stärke von unten nach oben aufbauen. Wir würden uns wünschen, dass die Menschenrechtsorganisationen und die internationalen Medien auch die Geschichte unserer Vertreibungen erzählen, die schon vor der WM stattgefunden haben und die auch noch nach der WM stattfinden werden. Wir würden uns auch wünschen, dass sie über die Unterdrückung unserer Bewegungen berichten und wie den Armen die Demokratie einfach vorenthalten wird.
Alle deutschen GenossInnen, natürlich auch die, die schon wegen der Weltmeisterschaft in Südafrika sind, sind herzlich eingeladen unsere Bewegung und unsere Communities zu besuchen, um die Wahrheit unseres Lebens und unserer Kämpfe selber zu sehen. Wir freuen uns darauf, mit unserer Bewegung mehr GenossInnen aus Deutschland kennenzulernen, voneinander zu lernen, uns gegenseitig zu ermutigen und alle die Herausforderungen mit ihnen zu diskutieren, die unsere Bewegungen bestehen müssen.
Wir begrüßen jede Solidarität mit echter Dankbarkeit, aber wir wollen nicht immer die sein, die Solidarität empfangen. Wir möchten genauso eure Kämpfe unterstützen. Wir würden gerne besprechen, wie wir uns in unseren Kämpfen gegenseitig unterstützen können.
Land und Freiheit!
Nichts ohne uns!
Ein Mensch ist ein Mensch, wo immer er sich wiederfindet!
Abahlali baseMjondolo
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[1] Die AbM-Versammlung war begeistert zu erfahren, das in Deutschland den prominenten Slogan „Friede den Hütten – Krieg den Palästen!“ (Georg Büchner, Hesssicher Landbote) gibt, den sie für sich adaptiert haben.
[2] Die gewählte Struktur von AbM im Viertel.
[3] Beim WSF 2009.
[4] Die Hütten werden mit Kerzen beleuchtet. In der Folge kommt es immer wieder zu verheerenden Bränden, bei den Menschen sterben.