Muster ist der Stammheimer DHKP-C-Prozess

In Düsseldorf scheint sich das gerade beendete 129b-Verfahren zu wiederholen
Von Carsten Ondreka, Neues Deutschland vom 24.7.2010

Zwischenbilanz der Anwälte vor der Sommerpause: Geheimdienstquellen, psychisch kranke Zeugen, Folterprotokolle aus der Türkei – nach vier Monaten folgt der 129b-Prozess in Düsseldorf seinem gerade beendeten Vorgänger in Stuttgart-Stammheim.
Am Mittwoch endete in Düsseldorf für drei türkische Linke der letzte Gerichtstag vor der Sommerpause. Seit März läuft gegen Nurhan E., Ahmet I. und Cengiz O. vor dem dortigen Oberlandesgericht (OLG) ein Prozess wegen Unterstützung der in Deutschland verbotenen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungsfront-Partei). Durch Schulungen und Spendenkampagnen für politische Gefangene in der Türkei sollen die Männer die Organisation bei schwersten Straftaten wie Anschlägen und Attentaten in der Türkei unterstützt haben. In ähnlichen Prozessen wurden in der Vergangenheit teils hohe Haftstrafen verhängt, zuletzt vor einer Woche in Stuttgart-Stammheim.
Den Angeklagten in Düsseldorf wurde zu Beginn des Prozesses vorgeworfen, gegen das Außenwirtschaftsgesetz und den Paragrafen 129b (Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer ausländischen terrorisischen Vereinigung) verstoßen zu haben. Nach diesen Paragrafen steht z. B. die Überweisung von Spendengeldern und jedweilige weitere Unterstützung einer politischen Organisation unter Strafe, soweit diese per EU-Ministerratsbeschluss zur terroristischen Organisation erklärt wurde.
Dies war bei der DHKP-C der Fall. Wer auf der sogenannten EU-Terrorliste landete, wurde auf Grundlage von juristisch nicht überprüfbaren Geheimdienstinformationen, die nur dem EU-Ministerrat vorlagen, die Existenzgrundlage entzogen. Jeglicher Kontakt wurde geheimdienstlich durchleuchtet, die Konten der Betroffenen gesperrt.
Am 29. Juni stoppte der Europäische Gerichtshof diese Praxis teilweise. Im Urteil des EuGH heißt es: »Die Beschlüsse des Rates, mit denen die DHKP-C vor Juni 2007 unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien in Listen aufgenommen wurde, können nicht dazu beitragen, die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der genannten Organisation zu stützen.«
Die Düsseldorfer Anwälte werten diese Klarstellung als Erfolg im Sinne der Angeklagten. Die Verteidigung ist seither der Auffassung, dass aufgrund des EuGH-Urteils der Strafvorwurf insgesamt nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Sie kritisieren zudem, dass die Anklage der Bundesanwaltschaft zum Teil lediglich auf unhinterfragbaren Aussagen und Vermerken von Geheimdienstlern beruhe. Eine Zeugin des BND wollte vor Gericht nicht ausschließen, dass Erkenntnisse, die sie durch Protokolle aus der Türkei erlangt habe, auch durch Folter zustande gekommen sein könnten.
Für den 7. Juli war Ilhan D. als Zeuge geladen, der bereits vom OLG Stuttgart-Stammheim wegen Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilt wurde, mittlerweile aber wieder auf freiem Fuß ist. Der Betroffene ist psychisch krank und bekommt seit drei Jahren starke Psychopharmaka. Ein Gutachter bescheinigte ihm dennoch die erhandlungsfähigkeit, schloss aber nicht aus, dass die Befragung psychotische Schüben auslösen kann. Im Gerichtssaal wurde schnell deutlich, dass der Betroffene sich kaum differenziert erinnern konnte. Der Vorsitzende Richter will die Befragung jedoch fortsetzen und drohte dem Mann mit Beugehaft, um Aussagen zu erhalten. »Wir werden Sie weiter befragen, auch wenn das für Sie eine Qual ist«, sagte er.
Am vorerst letzten Verhandlungstag in Düsseldorf wurden die Urteile des kürzlich beendeten Stammheim-Prozesses verlesen. Die Rechtsanwältin des Angeklagten Cengiz O. geht davon aus, dass sie als Blaupause für ihr Verfahren dienen werden. Wann der Prozess zu Ende sein wird, ist offen. Beobachter halten für möglich, dass er sich wie schon das Stammheimer Verfahren zwei Jahre lang hinziehen könnte.

Carsten Ondreka

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