Am Beispiel des Landkreis Wittenberg
Seit bis zu 16 Jahren leben Menschen im Lager Möhlau, einer ehemaligen Kaserne der sowjetischen Armee.
Seit Frühjahr 2009 protestieren die Flüchtlinge, die im Lager Möhlau festgehalten werden, gegen ihre katastrophalen Lebensbedingungen. Den fortwährenden Protest konnten die Ausländerbehörde und der Landkreis nicht mehr ignorieren, als Azad Murad Hadji unter nach wie vor ungeklärten Umständen im Juni 2009 verstarb und direkt im Anschluss ein älteres Ehepaar in den Kosovo abgeschoben werden sollte.
Im November 2009 gab es eine öffentliche Podiumsdiskussion zu den Zuständen, organisiert von der im Sommer 2009 ins Leben gerufenen „Initiative Runder Tisch Flüchtlingsheim Möhlau“ unter Beteiligung vom Alternativen Jugendzentrum Dessau e.V., der Evangelische Akademie, der Flüchtlingsinitiative Möhlau/Wittenberg, dem Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, Kultur mit Sahne, dem Multikulturelles Zentrum Dessau eV., dem Sozialen Bündnis Wittenberg und No Lager Halle.
Über hundert im Internet zu findende Fotos dokumentieren die Zustände im Lager; der Landkreis Wittenberg gründete eine „AG Möhlau“. Aus dieser waren sowohl die Betroffenen, die Flüchtlinge aus dem Lager Möhlau, als auch die „Initiative Runder Tisch Flüchtlingsheim Möhlau“ ausgeschlossen. Die Verwaltung des Landkreises erarbeitete nach Monaten drei Vorschläge zur neuen Unterbringung der Flüchtlinge.
Der erste Vorschlag war: Unterbringung aller Flüchtlinge in Wohnungen, dies jedoch wäre zu teuer und die deutschen Mieter würden keine Flüchtlinge als Nachbarn akzeptieren – abgelehnt.
Der zweite Vorschlag war, alle Familien ziehen in Wohnungen und die Flüchtlinge, die alleinreisend sind (ohne Familie), in WGs. Nicht zu teuer, aber die Vermieter, Wohngesellschaften im Landkreis Wittenberg, wollen keine Flüchtlinge als Mieter wegen ihrer rassistischen, deutschen Mieter – und mit Russlanddeutschen hätten sie die Erfahrung gemacht, dass diese nicht „angemessen“ heizen könnten. Außerdem könnten Flüchtlinge unterschiedlicher Nationalität nicht in derselben Wohnung wohnen, was im Lager für die Verantwortlichen keine Rolle spielt.
Die dritte Variante, für die sich der Landkreis entschied, sieht eine Teilung zwischen den alleinreisenden Flüchtlingen und denen in Familienverbänden vor. Familien sollen in Wohnungen untergebracht werden, die aber auch wieder in einem Wohnblock zusammengefasst sein können. Alleinreisende sollen in einer neuen Lager leben. Ein Unterbringungskonzept wurde nicht erarbeitet, nur die Einhaltung der gesetzlichen Minimalstandards, z.B. mindestens 5 m² pro Person, wird erwartet. Der neue Betreiber kann die Unterbringung nach seinem Ermessen gestalten, solange er ein günstiges Angebot vorlegt. Die Entscheidungskriterien sind: 80% Preis, 5% Betreiberkonzept, 15% Infrastruktur.
Bisher hat sich nur der alte Betreiber des Lagers Möhlau für eine Bewerbung interessiert. Dieser betreibt auch die Lager Zeitz und Neuruppin.
Der Auszug aus der zukünftigen Lager ist weiterhin nicht vorgesehen, endet also für die meisten erst bei ihrer Abschiebung oder dem Tod.
Abschiebungen aus dem Lager Möhlau in den Kosovo fanden dieses Jahr nicht statt. Die 17 betroffenen Flüchtlinge konnten angedrohte Abschiebungen nur noch durch Anträge an die Härtefallkommission des Landes Sachsen-Anhalt abwenden. Die Ausländerbehörde des Landkreises Wittenberg wollte sowohl hier geborene gerade volljährig gewordene Menschen in den Kosovo abschieben, als auch schwer Erkrankte. Das Innenministerium unter Hövelmann hat inoffiziell erklärt, dass möglichst keine Roma & Ashkali abgeschoben werden sollen, hieran können sich die Ausländerbehörden halten – oder eben nicht. Der Landkreis Wittenberg hält sich nicht daran. Ebenfalls hat sich das Innenministerium von Sachsen-Anhalt nur insoweit zu Abschiebungen nach Syrien geäußert, dass sie jetzt nicht stattfinden sollen; die Vorführungen von Flüchtlingen bei der syrischen Botschaft in Berlin indes gehen weiter.
Gleichzeitig fanden Botschaftsvorführungen (Abschiebeanhörungen) von Benin, China und Ghana statt. Solang die öffentliche Aufmerksamkeit anhält, werden weniger Flüchtlinge nach Syrien und in den Kosovo abgeschoben, die Abschiebungen werden nur vorbereitet. Aus dem Lager Möhlau musste ein Großteil der Flüchtlinge2010 zu Botschaftsanhörungen fahren, eine Botschaftsanhörung von 20 Flüchtlingen bei der beninschen Botschaft konnte im August durch bundesweite Proteste verhindert werden.
Dasselbe Vorgehen trifft auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zu: Seit Jahren erklärt das Innenministerium, es möchte, dass Flüchtlingsfamilien in Wohnungen untergebracht werden. Ob sich die Ausländerbehörden daran halten oder nicht, spielt keine Rolle. Vor über zehn Jahren (1998) erklärte das Innenministerium die großen Lager sollen geschlossen werden. Hier wurde explizit auf Möhlau und Halle/S. verwiesen. Letzteres wurde 2008 geschlossen. Flüchtlinge sollen laut Innenministerium wenn überhaupt in kleinen Lager von 30-50 Personen untergebracht werden. Die neu geplanten Lager im Landkreis Wittenberg sind für jeweils 100 Personen vorgesehen. In einem der neuen Lager in Halle/S. müssen (offizielle Angaben Herbst 2010) 93 Menschen leben.
Trotz anhaltender Medienberichte, sowohl regionaler als auch überregionaler Presse über das Lager Möhlau machte sich der Innenminister von Sachsen-Anhalt Holger Hövelmann selbst kein Bild von den Zuständen.
Ebenfalls hat sich das Innenministerium nicht mit der rechtswidrigen Praxis, keine Geburtsurkunden an hier geborene Kinder von Flüchtlingen auszustellen, auseinandergesetzt.
Das Innenministerium ist so eine Public-Relations-Agentur für die Ausländerbehörden. Es veröffentlicht Empfehlungen, die nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig finden Botschafts-/Abschiebeanhörungen in dem Multifunktionslager GU-ZAST Halberstadt statt. Diese beherbergt die ZAST des Landes Sachsen-Anhalt, die GU Harzkreis und das Abschiebelager des Landes Sachsen-Anhalt.
Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt verfolgt eine andere Strategie als andere Innenministerien. Es wartet erst mal ab und veröffentlicht human klingende Mitteilungen, die keinerlei Bedeutung für die betroffenen Flüchtlinge haben, aber den Protest erschweren.