Überraschung: Über 13 Jahre lang zieht eine Neonazi-Bande mordend durchs Land, zum Finale Grande erschießen sich die zwei männlichen Mitglieder der Terrorzelle, stecken Beute und Fluchtfahrzeug ihres letzten Banküberfalls in Brand und die dritte im Bund versucht den letzten Unterschlupf in die Luft zu jagen. Wer hätte DAS ahnen können?
»Im türkischen Milieu stößt man bei den Ermittlungen auf eisernes Schweigen« oder: Der ganz normale Rassismus
Neun Menschen mit migrantischem Hintergrund werden ermordet. Eine Polizistin aus Heilbronn bleibt auf der Strecke. Da es die Mörder nachlässigerweise versäumt hatten, die Polizei mittels Bekennerschreiben über ihre rassistischen Motive zu informieren, sieht die Polizei davon ab, einen rassistischen gesellschaftspolitischen Hintergrund für die Mord-Serie in Betracht zu ziehen. Statt dessen tun die Beamten das, was ihnen kriminologisch logisch erscheint:
Es wird wegen Schutzgeld-Erpressung und Mafia-Verbindungen der Opfer ermittelt, ihre Angehörigen und ihr Umfeld unter Verdacht gestellt, die Sonderkommission nennt sich »Bosporus«, der umgangssprachliche Arbeitstitel lautet: »Döner-Morde«. Und (fast) niemand in Politik und Medienlandschaft findet das merkwürdig. Das unterstellte Motiv leuchtet allen ein, wenn »der Türke« erschossen wird, dann wird er schon irgendeinen Dreck am Stecken haben. Das ist der selbstverständliche Alltagsrassismus, der in deutschen Behörden und Gesellschaft den »gesunden Menschenverstand« prägt. Wie sollen Behörden und Personen, deren tägliches Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen rassistisch geprägt ist, rassistische Motive erkennen und entsprechend ermitteln?
Who let the Dogs out? oder: Pleiten, Pech und Pannen
Als dann irgend etwas beim letzten Banküberfall des Nazi-Trios schief geht, zwei der drei tot sind und die dritte in Haft, wird der ganz normale rassistische Ablauf gestört und das Ausmaß der Verstrickung der Geheimdienste blitzt auf.
Der Thüringer Verfassungsschutz hat den Aufbau rechter Terrorzellen finanziert: Beispielsweise bekommt der Neo-Nazi Tino Brandt von 1994 bis 2001 insgesamt 200.000 DM Spitzellohn als V-Mann für den VS in Thüringen. Mit diesem Geld baut er den »Thüringer Heimatschutz« auf, eine Vereinigung gewalttätiger Neonazis, in der auch Bönhardt, Mundlos und Zschärpe Mitglied waren, bevor sie 1998 abtauchten und als »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) die beispiellose Mord- und Anschlagserie begannen.
Und dies ist eben kein Einzelfall: Als am 29. Mai 1993 – drei Tage nach der faktischen Abschaffung des Rechtes auf Asyl Artikel 16 GG – fünf türkische Menschen in Solingen nach einem faschistischen Brandanschlag verbrannten, wurde der breiteren Öffentlichkeit bekannt: V-Mann Bernd Schmitt trainierte nicht nur die Täter von Solingen, sondern war die prominente, zentrale Figur als Saal- und Personenschützer in der faschistischen Szenerie.
Und nicht nur um die finanziellen Belange kümmert sich der Geheimdienst, ehemalige Nazi-V-Leute berichten von »echter Männerfreundschaft«, die sie im Lauf ihrer Tätigkeit zu ihren Führungsleuten entwickelt haben. 2006 war in Kassel ein Beamter – Spitzname »klein Adolf« – des VS vor Ort, als ein Mann in einem Internetcafe erschossen wurde. Mittlerweile arbeitet »klein Adolf« im Kasseler Regierungspräsidium.
Behörden und Politik sprechen nun von Versagen und einer Pannen-Serie. Wenn aber über Jahre hinweg gewalttätige Neonazis von den Geheimdiensten aufgebaut, finanziert und protegiert werden, scheint die eigentliche Panne darin zu liegen, das die Verstrickung der Dienste überhaupt aufgeflogen ist.
In der allgemeinen Darstellung wird hingenommen, dass V-Leute geschützt werden müssten. V-Leute sind in der Mehrzahl in diesem Zusammenhang angeworbene, bezahlte Gelegenheits- bzw. Vollinformant_innen. Es sind also Neonazis, die staatlicherseits finanzielle Zuwendungen bekommen. Die wenigsten sind Geheimdienstler, die eingeschleust werden. Und auch das ist keine Garantie für ein demokratisches Grundverständnis der V-Leute. Worin besteht also der Nutzen? An Informationen über die faschistische Szene und Organisationen mangelt es nicht, das haben zahlreiche Opferverbände, antirassistische und antifaschistische Initiativen bestätigt. Die Frage ist, wie Informationen gesellschaftspolitisch beurteilt und eingeordnet werden, um daraus beispielsweise staatlicherseits entsprechende Programme aufzulegen.
Wer vom NPD-Verbot redet, darf von der Auflösung des VS nicht schweigen
Ein NPD-Verbot würde die Nazi-Szene von einer ihrer größten Geldquellen – der staatlichen Parteienfinanzierung – abschneiden, das Partei-Vermögen und Immobilien würden beschlagnahmt, Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen brächen weg, kurz: Die Szene würde materiell empfindlich getroffen. Und eines ist auch klar; dass ein Partei-Verbot das Nazi-Problem in Deutschland nicht löst, dennoch drängt sich die Frage auf, warum der Staat sich damit so schwer tut?
Die selben Strukturen, die seit Jahren eine Verhaftung der bereits observierten Nazis des NSU verhindert haben, gerieren sich in der aktuellen Debatte als Fachleute für ein mögliches NPD Verbot – die Innenministerien. Deren Verstrickungen in den Skandal ist so evident, dass sie auch jetzt versuchen werden, Zusammenhänge zwischen NPD, V-Leuten, NSU und Innenministerium/Verfassungsschutz/ Bundesnachrichtendienst zu verschleiern.
Ein Argument der CDU /CSU Innenminister gegen eine neues Verbotsverfahren ist, dass man nicht riskieren will, dass ein erneuter Versuch vor Gericht scheitert. Aber warum ist der letzte Verbotsversuch eigentlich gescheitert? Das NPD Verbot 2003 ist nicht etwa gescheitert, weil man zu wenig wusste oder keine Informationen hatte oder gar gesetzliche Grundlagen fehlen würden. Das NPD Verbot ist gescheitert, weil die Führungsebene der Partei mit fast 300 V-Leuten des VS durchsetzt war. Die Verfassungsrichter müssen sicher sein können, dass die NPD Führung und die Propaganda, also Texte, Reden etc. eben nicht maßgeblich staatlich gesteuert sind.
Wenn die NPD von staatlicher Seite unterstützt, aufgebaut und gelenkt wird, wenn nicht mehr zwischen staatlich bezahltem und gewöhnlichem Nazi unterscheidbar ist, dann ist ein NPD Verbotsverfahren absurd. Baden Württembergs ehemaliger Innenminister Herbibert Rech sagte bereits im März 2003 in diesem Zusammenhang, dass die NPD zusammenfallen würde, wenn er alle seine V-Leute abziehen würden. Nimmt man diese Aussage ernst, liegt der Schluss nahe, dass die wesentlichen Stützen der NPD vom Staat gelenkt werden. Die NPD existiert, weil der Staat das so will. Wer Neonazis durch ein Partei-Verbot bekämpfen will, muss ihnen zu erst die staatliche Unterstützung entziehen und den Heimatschutz Verfassungsschutz gleich mit auflösen.
Exkurs: Antifa-Demo in Saalfeld
Neben dem Aufbau der NPD und anderer rechter Strukturen wurde von staatlicher Seite mit großem Engagement jeglicher Widerstand gegen Neonazis, der über das Halten einer Kerze hinausgeht, bekämpft. Zur Erinnerung : Saalfeld 1998, ein Buskonvoi mit 400 Menschen macht sich auf den Weg von Berlin nach Saalfeld in Thüringen, um gegen den Thüringer Heimatschutzbund zu demonstrieren. Die Antifa-Demonstration in Saalfeld wurde im Vorfeld verboten, ebenso die über zehn angemeldeten Ersatzveranstaltungen in verschiedenen Städten, und der Buskonvoi der Antifaschist_innen wurden an der Landesgrenze zu Thüringen gestoppt. Die komplette Autobahn auf der der Buskonvoi unterwegs war, wurde gesperrt, Hubschrauber mit Sondereinsatzkräften des USK landeten, nahmen die 400 Menschen fest und brachten sie nach Unterwellenborn – ein stillgelegter Stasiknast. Dort wurden die 400 Personen über Nacht festgehalten, die Frauen wurden nachts beim Schlafen gefilmt, einzelne Männer wurden verprügelt und mussten sich nackt ausziehen, es gab keine funktionierende Wasserleitung mehr in dem Gebäude. Am nächsten Tag wurden in den Abendstunden die 400 Menschen gefesselt ohne Erklärung in einen Wald gefahren und in einen Zug, der auf offener Strecke gehalten hatte gesetzt und nach Berlin verfrachtet. Die Fesselungen blieben bis zur Ankunft in Berlin bestehen. Der zweite Versuch einer Demo in Saalfeld gegen den »Thüringer Heimatschutz« ein paar Monate später, endete genauso – Festnahme, Unterwellenborn, Rücktransport. Der »Thüringer Heimatschutz« konnte zeitgleich natürlich demonstrieren – sie hatten eine Gegendemonstration angemeldet.
Warum dieser Hass?
Der Staat schützt seine Neonazis und bedient sich den geläufigen Mitteln, der Diffamierung von Antifaschist_innen durch Gewaltvisionen und Extremismus-Thesen. Das poltische Spektrum wird als Hufeisen dargestellt: Rechts und Links die extremen Ränder, dazwischen die »neutrale Mitte«. Antifaschismus stand seit Gründung der BRD immer unter besonderem Verdacht, antifaschistische Menschen werden als linkes Extrem beschrieben und müssen daher bekämpft werden.
Vergleicht man das Theater eines Briefes an Ackermann (der wohl nie selbst die Post öffnet, »italienische Anarchisten« wissen das anscheinend nicht) oder die Aufregung um ein paar nicht gezündete Brandsätze gegen die Infrastruktur der deutschen Bahn mit den 182 Morden seit 1989 von Neonazis wird deutlich: Für die Behörden steht der Feind links. Das hat in Deutschland Tradition. Der personelle und strukturelle Vorläufer der BRD-Geheimdienste wie VS und BND, wie beispielsweise die »Organisation Gehlen«, wurde von Personal des NS-Staats gegründet. Wenn es keine persönlichen Kontinuität mehr gibt, dann liegt das vor allem am Ableben der Tätergeneration, die idoelogische Grundlage war seit Anbeginn Anti-Kommunismus.
So muss niemand verwundert sein, das der Rassismus der Behörden gut einher mit dem Rassismus der NPD geht und der Verfolgungswille doch eher unterdurchschnittlich war. Man stelle sich mal vor, man hätte eine Wohnung von Linken durchsucht und dabei Sprengstoff, Waffen u.ä. gefunden. Unschwer zu ahnen, was das zur Folge hätte: Ermittlungen nach Anti-Terror-Paragrafen, Untersuchungshaft und Repression gegen das Umfeld, das ganze Programm das der Staat zu bieten hat wird gegen Links aufgefahren, während rechte Mörder in der Regel als wahlweise verwirrte, besoffenen, jugendliche, entwurzelte Einzeltäter beschrieben werden.
Warum steht die Antifa und die Linke so im Fokus des Repressionsapparates?
Die Linke tritt dafür ein, die Welt lebenswert zu machen für alle, egal welcher Herkunft, egal welchen Geschlechts, egal aus welcher Familie man kommt und wie und wo man leben möchte. Zentrales Element ist die Frage nach nach der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Das bedeutet, dass nicht Einzelne oder Eliten sich an den gesellschaftlich hergestellten Gütern, Waren, Geldern bereichern können. Wenn das aber viele Fürsprecher_innen findet, wird es Leute geben, die etwas zu verlieren haben: Villen, Privilegien, Privatversicherungen, Eliteschulen …. Diese Privilegierten sind aber der Meinung, dass ihnen genau das zusteht, dass sie besonders dazu bestimmt sind und es verdient haben, alles zu haben und die Unterschicht darf dann ihre Brut aufziehen, ihre Klos putzen und ein im besten Fall beschauliches kleines Leben führen, im schlechtesten Fall verrecken.
Es gibt und gab in der Geschichte immer wieder Mehrheiten für egalitäre Ideen, in der alle gleich sind und allen das Gleiche zusteht. Und immer wurden diese mit aller Macht des Staats bekämpft (Spanischer Bürgerkrieg, Kommunisten in Deutschland etc.) Immer, wirklich immer haben sich die gesellschaftlichen Eliten dem Mittel der Diffamierung bedient und der Extremismustheorie. Seht uns an, wir sind die wohlmeinende Mitte, wir wollen das Beste für euch Blödiane, die ihr viel zu dumm seid euch selbst zu regieren, wir machen das für euch, guckt ihr schön Fernsehen.
Neonazis bedrohen diese Ordnung nicht im geringsten. Sie sind lediglich der extreme Ausdruck der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft, in der die Verlierer lediglich als Kosten-Faktor wahrgenommen werden. Was der Staat über soziale Ausgrenzung, rassistische Sondergesetze, Abschiebung und Repression macht, setzen sie auf ihre gewalttätigere Variante um. Sie werden keine Mehrheiten hinter sich bringen, sie tasten die Eliten nicht an.
Der Kampf gegen Neonazis braucht weder Vorratsspeicherung, Extremisten-Dateien oder eine stärkere Verzahnung von Geheimdiensten und Polizei. Im Gegenteil: Das sind Maßnahmen einer repressiven rechtsorientierten Politik, die demokratische Rechte unterhöhlt, abschafft und in keiner Weise dazu befähigt sind, demokratische Grundideen zu befördern.
Wer die Neonazis bekämpfen will, der muss ihrer Ideologie den Nährboden entziehen und ihre Organisationen und Zirkel zerschlagen. Das bedeutet, den in der Mitte der Gesellschaft verankerten Rassismus zu bekämpfen, das bedeutet, das Konkurrenz-Prinzip auszuschalten und die soziale Diskriminierung zu beenden. Grundlegend dafür ist, das die Wirtschaft auf die Bedürfnisbefriedigung der Menschen und nicht auf den Profit abzielen muss, dass sich niemand mehr durch das untertänige »Nach oben buckeln, nach unten treten« einen Vorteil versprechen darf, das einige ihre als selbstverständlich erachteten Privilegien ablegen müssen. Das wird nicht mit den Herrschenden und ihrem Repressionsapparat zu machen sein, sondern nur gegen sie.
Als Sofortmaßnahmen schlagen wir vor:
– Geheimdienste abschaffen
– Weg mit den rassistischen Sondergesetzen
– Weg mit der NPD!
– Schluss mit der Hetze gegen antifaschistische und antirassistische Gruppen
– Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz in den Stadtteilen!
Antifaschistische Linke Berlin, Dezember 2011