Direkte Aktion

Lebensmittel für Arme in Spanien: Andalusische Gewerkschafter ­»enteignen« Supermärkte

Von André Scheer
Am Dienstag vormittag standen plötzlich 200 Demonstranten mit Fahnen der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) in dem großen Supermarkt im südspanischen Arcos de la Frontera. Seelenruhig schoben sie rund 20 Einkaufswagen durch die Gänge und füllten sie mit den in den Regalen liegenden Grundnahrungsmitteln: Nudeln, Reis, Milch, Zucker, Eier. Doch als sie an der Kasse vorbei und ohne zu bezahlen die Filiale der Einzelhandelskette Carrefour verlassen wollten, versperrten ihnen Beamte der Guardia Civil den Weg. Angestellte hatten die paramilitärische Polizeitruppe alarmiert. Es folgten zähe Verhandlungen zwischen einem herbeigeeilten Vertreter des Unternehmens und den Aktivisten, bis sich die Supermarktkette schließlich bereiterklärte, zwölf Einkaufswagen voller Lebensmittel an die Ortsverwaltungen von Bornos, Puerto Serrano und Espera zu spenden, damit diese das Essen an notleidende Einwohner weitergeben können. In der Region im Süden Andalusiens liegt die Erwerbslosigkeit bei 40 Prozent, die Armut hat extreme Ausmaße angenommen, wie der an der Aktion beteiligte Generalsekretär der SAT, Diego Cañamero, der Nachrichtenagentur Europa Press sagte.

Nahezu zeitgleich betraten im gut 100 Kilometer entfernten Écija andere Aktivisten der Gewerkschaft eine Filiale der Supermarktkette Mercadona. Von der Polizei wurden sie hier nicht behelligt, denn diese wurde »von einer Gruppe Compañeros unterhalten, die wir eingesetzt haben, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken«, berichtete Juan Manuel Sánchez Gordillo der Agentur. Der Bürgermeister von Marinaleda und Abgeordnete der Vereinigten Linken (IULV-CA) im andalusischen Regionalparlament wirkte vor Ort als Sprecher der Aktivisten, ohne selbst den Laden betreten zu haben, während seine Genossen neun Wagen voller Essen aus dem Geschäft holten. »In dieser Krisenzeit, in der sie das Volk enteignen, wollen wir die Enteigner enteignen – die Gutsherren, Banken und Großgrundbesitzer, die inmitten der Wirtschaftskrise große Gewinne machen.« Es könne nicht sein, daß das Volk die Verluste der Banken bezahlen müsse, »wenn es zugleich Menschen gibt, die nichts zu essen haben«. Deshalb habe man sich entschlossen, die Grundnahrungsmittel zu »enteignen« und an die – mit den deutschen »Tafeln« vergleichbaren – Lebensmittelbanken zu spenden. Diese seien kaum noch in der Lage, die aufgrund der im stärkeren Verarmung breiter Teile der Bevölkerung gewachsene Nachfrage zu befriedigen, kritisierte Sánchez Gordillo.

Unternehmenssprecher von Mercadona kündigten an, Strafanzeige erstatten zu wollen. Man sei sich »bewußt, daß die gegenwärtige Wirtschaftslage besorgniserregend« sei, so die größte Supermarktkette Spaniens gegenüber Europa Press. Der beste Ausweg sei jedoch, »weiter zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen«. Unterstützung erhielt der Multi von Andalusiens sozialdemokratischem Regierungschef José Antonio Griñán, der es über den Internetdienst Twitter eine »Barbarei« nannte, daß mit Sánchez Gordillo ein Abgeordneter seines Koalitionspartners Vereinigte Linke »Supermärkte überfällt«.

Die 2007 als Zusammenschluß mehrerer Landarbeiterorganisationen gegründete SAT weist solche Vorwürfe auf ihrer Homepage zurück: »Es ist beschämend, wie einige wohlgenährte Hierarchen zur Verteidigung eines Großunternehmens wie Mercadona herumzetern, gegen das unzählige Beschwerden wegen arbeitsrechtlicher Vergehen vorliegen. In diesen Krisenzeiten muß die Rettung der Menschen oberste Priorität haben: verhindern, daß Familien ihre Häuser verlieren und denen, die sie verloren haben, sofort Unterkünfte zur Verfügung stellen, den Verlust weiterer Arbeitsplätze verhindern (…) und natürlich all denen kostenlos Grundnahrungsmittel zur Verfügung stellen, die nichts mehr haben. Das, Herr Griñan, ist keine Barbarei. Barbarei ist, was Sie tun. Barbarei ist das kapitalistische System, das Sie verteidigen.«

Die Vereinigte Linke und ihr Parlamentsabgeordneter Sánchez Gordillo streiten sich seit Monaten um die richtige politische Linie. Der Gewerkschafter hatte die Koalition von IULV-CA und sozialdemokratischer PSOE abgelehnt und sich bei der Wahl Griñáns zum neuen Präsidenten der Junta de Andalucía der Stimme enthalten. Daraufhin war er vom Linksbündnis gemaßregelt worden und mußte sich verpflichten, künftig die Fraktionsdisziplin zu wahren. Während Andalusiens Vizepräsident und Linkenchef Diego Valderas Sosa Ende Juni in einem »Brief an die Mitglieder« dafür warb, trotz der schwierigen Bedingungen in der Koalition zu bleiben, um eine Rückkehr der Rechten an die Regionalregierung zu verhindern, fordert der Gewerkschafter eine »Radikalisierung unserer Positionen durch gewaltfreie Aktionen«.

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