[jw] Ausschlafen und Abhauen

Jahresrückblick 2012 Sachsen-Anhalt: Flüchtende Fachkräfte, betrügende CDU-Politiker und ein »militärisches Biotop«

Von Susan Bonath

Abhauen in den Westen – das scheint in Sachsen-Anhalt angesagt. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) beklagte in diesem Jahr einen geradezu »dramatischen« Fachkräftemangel durch Abwanderung. Den »Realsozialismus« in Form eines Mindestlohns im Vergabegesetz wollte er deshalb jedoch nicht einführen. Er versuchte, mit einer Frühaufsteherkampagne in Baden-Württemberg Abtrünnige zur Rückkehr zu bewegen.

Erfolge konnte Haseloff zwar nicht belegen. Dennoch plante er weitere 2,5 Millionen Euro für Imagewerbung ein. Zudem schlug er vor, den Slogan »Wir stehen früher auf« durch »Sexy und ausgeschlafen« zu ersetzen. Gut gepaßt hätte auch »Arm aber sexy« (leider schon an Berlin vergeben), denn Tafeln verzeichneten 2012 Rekordzuläufe, und Sozialkaufhäuser entpuppten sich als Marktlücke. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fand zudem heraus, daß jeder dritte Vollzeitbeschäftigte im Land an der Mittelelbe weniger als 1500 Euro brutto im Monat verdient. Dazu gehören die Mitarbeiter des in Halle ansässigen Sparkassencallcenters S-Direkt trotz ihres 117-tägigen Streiks auch künftig. Sie bekommen jetzt einen Stundenlohn von 8,50 Euro.

Stahlhelm und Schlagstock

Für Sachsen-Anhalts Solarbranche ging es 2012 steil bergab; eine Pleite jagte die nächste: Allein im »Solar Valley« in Bitterfeld-Wolfen verloren rund 2000 Beschäftigte ihre Stelle. Viele Kulturstätten kämpften indes mit finanziellen Kürzungen des Landes. Im Thalia-Theater Halle fiel deshalb im Sommer der letzte Vorhang. Das Anhaltische Theater versuchte es mit kreativem Protest: Die Schauspieler campten tagelang vor dem Magdeburger Kultusministerium. Auf Hilfe der CDU-SPD-Landesregierung hofften sie alle vergeblich.

Dafür sorgte die Koalition für künftige Arbeitsplätze beim Militär. Im ­Zeitzer Forst entsteht eine zehn Millionen Euro teure Schießanlage. 100 weitere Millionen sollen in die 6,5 Quadratkilometer große Übungsstadt »Schnöggersburg« im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide fließen. Freuen dürfte sich darüber vor allem der Waffenproduzent Rheinmetall, der laut Bundesregierung in den letzten zwölf Jahren 267 Millionen Euro am GÜZ verdiente. Was die Opposition »Steuergeldverschwendung für Aufrüstung« nennt, ist für CDU-Innenminister Holger Stahlknecht »notwendig«. Soldaten müßten sich schließlich auf Einsätze vorbereiten. Außerdem sorgten sie für eine florierende Wirtschaft. Auch die Kritik an fehlenden Umweltschutzgutachten wischte Stahlknecht vom Tisch: »Truppenübungsplätze sind die besten Biotope«, erklärte er den Linken und Grünen Mitte Dezember im Landtag.

Sorgen machte sich Minister Stahlknecht dafür um seine Polizei. Sein Traum von einer landeseigenen Reiterstaffel muß zwar noch warten, sein neues Polizeigesetz soll aber den Beamten künftig weitreichende Lauschbefugnisse einräumen. Auf Großeinsätzen dürfen Polizisten zudem weiter anonym bleiben. Bereits Anfang Januar knüppelten sich behelmte Beamte unerkannt durch eine Gedenkdemonstration in Dessau. Ebenso namenlos blieben jene Polizisten, die eine Woche später blockierwillige Antifaschisten mit Pfefferspray traktierten, während 1200 Neonazis gut geschützt durch Magdeburg marschierten. Und im September stießen in der Heide mehr als 1000 anonyme Beamte auf 300 Antikriegs-Demonstranten und stellten gleich 700mal deren Personalien fest.

Ent- und Versorgung

Abgearbeitet hat man sich in Sachsen-Anhalt am 2008 aufgeflogenen Müllskandal, und man hat einen parteilosen Landrat an den Pranger gestellt. Bestechlichkeit – er soll Genehmigungen von Haseloffs früherer Behörde gegen Schmiergeld besorgt haben – konnten ihm die Staatsanwälte zwar nicht nachweisen. Dafür bekam er 14 Monate Haft auf Bewährung und 12000 Euro Geldstrafe wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Landtag. Besser weg kam dagegen ein Polizeivorgesetzter, der für den Feuertod eines Asylbewerbers im Dessauer Revier verantwortlich sein soll: Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu 10800 Euro verurteilt.

Haseloff sorgte sich indes um den Ruf seiner CDU. So kam heraus, daß Parteimitglieder eifrig beim Fördermittelbetrug mitmischten. Mindestens fünf Millionen Euro versickerten dabei in dunklen Kanälen. Linke und Grüne vermuten auch »Dankesspenden« an die Union. Das soll jetzt ein Untersuchungsausschuß herausfinden.

Trotz aller Rangeleien haben die Abgeordneten im Magdeburger Landtag dennoch Grund zu gemeinsamer Freude. Zu Jahresbeginn genehmigten sie sich eine Diätenerhöhung um satte 858 Euro. Für sie können nun die Preise für Strom, Gas und Lebensmittel getrost weiter steigen.

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