In der Türkei findet derzeit ein Prozess gegen die Mörder des linken Aktivisten Hasan Ferit Gedik statt. Mitglieder einer Mafiabande hatten den 21-jährigen im September 2013 im Istanbuler Stadtteil Gülsuyu während einer Demonstration erschossen. Wir haben mit dem Anwalt Aytac Ünsal über den laufenden Prozess gesprochen.
Warum musste Hasan Ferit Gedik sterben? Wer sind die Angreifer und was sind die Hintergründe dieser Tat?
Gültepe ist ein Viertel von dem Istanbuler Stadteil Maltepe. Gülsuyu hat einen wunderschönen Ausblick. Das Viertel hat einen unmittelbaren Blick auf´s Marmara-Meer, und man kann die umliegenden Inseln sehen. Früher haben sich mittellose Zuwanderer aus Anatolien hier niedergelassen. Damals gab es überhaupt keine Infrastruktur: Keinen Strom, keine Straßen. Mittlerweile sind die Reichen auf den Geschmack gekommen und möchten die armen Einwohner aus dem Viertel vertreiben. Sie möchten dort Luxushotels und Gated Communities errichten.
Es geht um viel Geld. Aus reiner Profitgier haben sie Drogenbanden in die Viertel eingeschleust. Die Mafia hat den Drogen- und Prostitutionsverkehr geregelt. Die Kleinhändler wurden zu Schutzgeldern gezwungen. Manche Gewerbebetriebe wurden besetzt. Damit wollte man die Bevölkerung in Gülsuye einschüchtern und sie aus diesem Viertel vertreiben.
Um das Viertel zu verteidigen und zu beschützen haben Revolutionäre den Kampf gegen die Banden aufgenommen. Es gab jeden Tag Demonstrationen. Sie haben viele Veranstaltungen durchgeführt. Die Banden wollten nicht, dass das Schule macht und als Vorbild herhalten kann. Um die Bevölkerung zu unterdrücken, wendeten sie Gewalt an. Physische Angriffe und Tötungsdelikte kamen auf diese Weise zustande. Aus den Abhörprotokollen, die im Rahmen des Prozesses bekannt wurden, wurden auch die Beziehungen der Drogenbanden durchleuchtet.
In einem Gespräch kommt die Verflechtung zwishen Polizei und Drogenmafia zum Vorschein. Der Polizist sagt: „Es gibt einen Haftbefehl gegen dich. Komm doch mal bitte an der Wache vorbei, damit wir dich fünf Minuten verhören können.“ Und der Mafiosie antwortet: „Gut, ich komme vorbei.“ Sie haben ein sehr enges Verhältnis.
Am 19. November 2014 wurde der Prozess gegen einige der Mörder eröffnet. Sind Sie damit zufrieden?
Der Prozess hat am 19. November begonnen, aber es handelte sich um einen Scheinprozess. Nun, weil in der Verhandlung keinerlei Zwischenurteil gefällt wurde, gab es auch nicht die geringste konkrete Entwicklung. Deshalb diente die Verhandlung lediglich dem Schein. Außerdem wurde der Akt zuvor vom Gericht an das Justizministerium weitergeleitet. Begründet wurde dies damit, dass für diesen Prozess kein „ausreichend großer“ Gerichtssaal verfügbar sei und er deshalb in eine andere Stadt verlegt werden sollte. Allein schon diese Anforderung zeigt deutlich, wie parteiisch sich die Regierung im Bezug auf Prozesse ermordeter Kinder aus dem Volk ist.
Der Prozess läuft ohnehin im Gericht Kartal. Und dieses Gericht wurde von der AKP-Regierung mit Lobgesängen darüber, dass dies der größte Justizpalast der Welt sei, eröffnet. Dass in solch einem großen Gericht kein Saal gefunden wird, um das Verfahren durchzuführen, sagt doch schon alles. Diejenigen, die 560 Tage lang keine Anklage gegen die Mörder von Berkin Elvan erhoben, wollen auch keine Unterstützung für Hasan Ferit sehen. Deshalb ist das eigentliche Ziel, die Unterstützung dadurch zu unterbinden, indem der Prozess aus der Öffentlichkeit verbannt wird. In diesem Sinne halten wir die Verhandlung vom 19. November für ein Ablenkungsmanöver.
Ihre Kollegin Ebru Timtik hatte bemerkt, dass ohne Ihr Wissens zwei Verhandlungssitzungen durchgeführt wurden. Können Sie uns etwas dazu sagen, und werden Sie gerichtlich dagegen vorgehen?
Richtig, das Gericht hat ohne unser Wissen zwei Verhandlungen abgehalten. Bei diesen wurden Aussagen der Angeklagten aufgenommen. Dieses Vorgehen ist ein Verstoß gegen Art. 188 der Strafprozessordnung. Wir haben rechtlichen Anspruch darauf der Verhandlung beizuwohnen. Deshalb ist es ein Rechtsverstoß, die Verhandlung durchzuführen, ohne uns zu informieren. Doch, nachdem wir bereits mehrmals damit Erfahrung machten, dass der Faschismus die eigenen Gesetze nicht beachtet, ist das nicht verwunderlich für uns. Wir sind der Meinung, dass es rechtlich gesehen nur dann möglich ist, Erfolge zu erzielen, wenn der Fall von Hasan Ferit größere politische Unterstützung erhält.
Es wird behauptet, dass der Justizpalast in Kartal sehr klein ist. Stimmen Sie dem zu?
Nach der Strafprozessordnung ist es gesetzeswidrig, zu versuchen, einen Prozess mit der Begründung, das Gericht sei zu klein, in eine andere Stadt zu verlegen. Dies bedeutet für die Familie und für die Betroffenen, eine noch größere Verletzung ihrer Rechte. Es obliegt der Verantwortung der Gerichte, einen ordentlichen Raum für eine angemessene Verhandlung zu finden.
Laut Strafprozessordnung dürfen bei der Festlegung des Verhandlungsortes keine größeren Rechtsverletzungen herbeigeführt werden. Das Gericht in Kartal wurde mit dem Anspruch, das größte Gericht der Welt zu sein, errichtet. Es ist dermaßen groß, dass es sogar wirkt wie ein Justiz-Einkaufszentrum, in dem die Gerechtigkeit verkauft wird. Wir wissen, dass für die Bourgeoisie Gerechtigkeit mit Profit zusammenhängt. Deshalb ähneln die Institutionen der Justiz auch Einkaufszentren. Allein schon die Behauptung, dass es in einem derartig großen Gerichtsgebäude keinen passenden Raum gibt, zeigt, dass es sich um eine Ausrede handelt. Die Wahrheit ist, dass die AKP-Regierung die Drogenbanden, die Hasan Ferit ermordet haben und die Polizeibeamten,die Berkin auf dem Gewissen haben, nicht vor Gericht stellen will. Deswegen schleppen sie den Prozess vor sich hin. Für uns ist Gerechtigkeit so notwendig und wertvoll wie das tägliche Brot. Wir glauben nicht daran, dass mit solchen Prozessen, bei denen man ganz offensichtlich versucht, die Mörder reinzuwaschen, Gerechtigkeit hergestellt wird. Die Gerechtigkeit wird mit Beteiligung der Bevölkerung hergestellt.
Was erwarten Sie sich im Bezug auf den Prozessausgang? Werden die Mörder von Hasan Ferit Gedik Ihrer Meinung nach, ihre gerechte Strafe erhalten?
Aufgrund der oben genannten Fakten, wissen wir, dass dieses Verfahren nicht mit einem gerechten Urteil enden wird. Wir wissen, dass die Herrschenden, die das wunderschöne und gut gelegene Viertel Gülsuyu den Armen entreißen wollen, um dort Hotels zu errichten, alles Erdenkliche tun werden, um diesen Prozess aufzuhalten. Wir wissen, dass jene, die die Drogenbanden in diese Vierteln lassen und die Bevölkerung von dort vertreiben wollen, die Mörder nicht anklagen werden. Sie spielen lediglich ein Spiel, um die Mörder reinzuwaschen.
Wie würde sich eine Verlegung des Verhandlungsortes auf den Prozess auswirken?
Wie schon gesagt, der Grund für die Verlegung des Prozessortes ist nicht der, dass es keinen Verhandlungsraum gibt. Das ist nur ein Vorwand. Denn es ist mehr als lächerlich, dass es im größten Gericht der Welt keinen geeigneten Verhandlungsraum geben soll. Der eigentliche Grund dafür, den Prozess zu verschleppen ist, die Öffentlichkeit auszuschließen, indem es der Bevölkerung erschwert wird, an einen weit entfernten Prozessort zu kommen. Das eigentliche Ziel der Regierung ist, den Prozess von der Tagesordnung zu bekommen und die Menschen, die den Prozess unterstützen an der Teilnahme zu hindern. Diese Taktik haben sie bei den Prozessen aller im Juni-Aufstand Ermordeten angewandt. Der Prozess von Abdullah Cömert, der in Antakya ermordet wurde, ist nach Balikesir verlegt worden. Der Prozess von Ali Ismail Korkmaz, der in Eskisehir ermordet wurde, ist nach Kayseri verlegt worden. Damit möchte die Regierung verhindern, dass sich die lokale Bevölkerung für ihre Kinder einsetzt und sich gegen die Regierung organisiert.
Quelle: LCM