Der Jemenkrieg und die Medien

Cornelia Mayer, heise.de

Zur Darstellung des Völkermords in deutschsprachigen Online-Medien

Einige der in den deutschsprachigen Online-Mainstream-Medien häufig gebrauchten Formulierungen sind zwar faktisch nicht falsch, haben jedoch Implikationen, die für den Jemenkrieg nicht angemessen sind: Sie lassen wichtige Aspekte ungesagt.

Dafür, dass es sich bei dem Krieg, der seit 2015 im Jemen herrscht, laut den UN um die „größte humanitäre Krise der Welt“1 handelt, ist dessen Präsenz in den Medien eher gering. Ausgehend von diesem Eindruck, wonach die Berichterstattung über den Konflikt weder quantitativ zufriedenstellend noch inhaltlich adäquat ist, soll hier die Frage gestellt werden: Wie voreingenommen bzw. wie neutral ist die Verbreitung von Informationen über den Jemenkrieg in den deutschsprachigen Mainstream-Online-Medien?

Dazu wäre natürlich eine größere empirische Untersuchung notwendig, die im Rahmen dieses Beitrags nur ansatzweise möglich ist. Im Folgenden liegt mein Fokus auf der Wortwahl, dem Sprachgebrauch – und welche Einstellungen dieser impliziert. Der Rahmen dieses Beitrags ist ein recht enger: Untersucht wurden 10 Onlinemedien mit insgesamt 27 Einzelbeiträgen. Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Online-Medien liegt mein Schwerpunkt auf Informationen, die im Internet zu finden sind. Mein besonderes Augenmerk gilt den Standard-Formulierungen, nach denen die Huthis als „vom Iran unterstützte“ „Rebellen“ gelten, wohingegen die „Regierung“ als eine „international anerkannten Regierung“ tituliert wird. Auch das Narrativ „Sunni gegen Schia“ findet sich in der Hälfte der Hauptmedien. Diese in den deutschsprachigen Online-Mainstream-Medien häufig gebrauchten Formulierungen sind zwar faktisch nicht falsch, haben jedoch Implikationen, die für den Jemenkrieg nicht angemessen sind: Sie lassen wichtige Aspekte ungesagt.

1 Die Darstellung des Kriegs in den Mainstream-Online-Medien

Untersucht wurden von mir (im Folgenden kurz bezeichnet als: die Hauptmedien): Die Online-Portale von ARTE, Das Erste, der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), dem Standard aus Österreich, dem SPIEGEL, der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Tageszeitung (taz), der Welt, dem ZDF und der Zeit. Von jedem dieser Online-Nachrichtendienste wurden mehrere Berichte zum Thema analysiert, insgesamt 27 Beiträge, davon 18 Textbeiträge, 7 Videos und 2 Podcasts2. Zeitliche Beschränkung: die Monate von November 2018 bis Juli 2019. Für die Auswahl der Einzelberichte war ausschließlich deren Thematisierung des Jemenkriegs und das Datum ihrer Veröffentlichung entscheidend. Es ist möglich, dass manche dieser Beiträge aus den gleichen Quellen stammen. Das Sammeln von Informationen im Kriegsgebiet ist schließlich schwierig.

Tabelle 1 zeigt eine Auflistung der wichtigsten Ergebnisse: welche gleichen Wortphrasen (in Anführungszeichen) oder inhaltlich ähnliche Formulierungen (ohne Anführungszeichen) in wie vielen aus den 10 Hauptmedien benutzt werden. Dabei muss sich die betreffende Phrase oder eine inhaltliche ähnliche Formulierung pro Hauptmedium in mindestens einem der Beiträge finden.

 

Tabelle 1: Wortphrase oder inhaltliche Umschreibung von 10 Hauptmedien
(eigene Hervorhebungen)
A: „Huthi-Rebellen 10
B: „Stellvertreterkrieg“ 4
C: Sunniten gegen Schiiten (ohne Angabe komplexerer Gründe) 5
D: Huthis „mit Iran verbündet“ oder „von Iran unterstützt 10
aus den 27 Einzelquellen: 23
E: Saudi-arabisch geführte Koalition von USA unterstützt 6
aus den 27 Einzelquellen: 11
F: „Die international anerkannte Regierung“ im Jemen 5
G: „Regierung“ (ohne Hinweis auf deren fragwürdige Legitimität) 9
H: „Die USA/Saudi-Arabien behaupten, dass der Iran die Huthis unterstützt (und die regionale Vormachtstellung Saudi-Arabiens bedroht)“ 8
I: Beleuchtung der Vorgeschichte des Kriegs ab 2011 4
J: Hinweis auf Komplexität des Kriegs und geopolitische Relevanz 1
K: Hadi-Regierung „einflusslos“ und Steuerung durch Saudi-Arabien 2
L: Differenzierte Betrachtung der iranischen Unterstützung 1
M: Hinterfragen der Legitimität der jemenitischen Regierung 1

 

Auffällig war zusätzlich, dass ausführlichere Beiträge, wie etwa die beiden Podcast-Folgen (veröffentlicht von der SZ und Das Erste), deutlich differenzierter Bericht erstatteten. Diese waren beispielsweise die einzigen, die anmerkten, dass die jemenitische Regierung im Land kaum Einfluss hat (K). Der SZ-Podcast stellte als einzige Quelle aus allen 27 Einzelbeiträgen die Legitimität der Hadi-Regierung in Frage (M) und ging, ebenso als einziger, detailliert auf die allgegenwärtige Anmerkung, die Huthis seien „vom Iran unterstützt“, ein (L). Als wichtigste Hauptthemen der Artikel fielen einerseits deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und andererseits die katastrophale humanitäre Lage im Jemen auf.

2 Interpretation der Ergebnisse

Erneut sei betont, dass es sich bei der vorgelegten Untersuchung nicht um eine repräsentative Studie handelt. Nichtsdestoweniger zeichnen die in den 27 Beiträgen gebrauchten Formulierungen und Inhalte ein grobes Bild von der Darstellung des Jemenkriegs in deutschsprachigen Online-Mainstream-Medien. An dieser Stelle muss analysiert werden, was die Verwendung derjenigen Wortphrasen, deren Ergebnisse am deutlichsten sind, impliziert.

a) „Die Huthi-Rebellen“ gegen die „international anerkannte Regierung“

Am häufigsten, nämlich in jedem Hauptmedium in mindestens einem Beitrag, finden sich die Begrifflichkeiten der Huthis als „Rebellen“ (A) und deren Unterstützung durch den Iran (D). Diese beiden Behauptungen, die man als Konsument deutscher Medien so häufig hört, sind nicht explizit falsch – lassen aber vieles ungesagt. Zunächst soll die häufigste Formulierung A betrachtet werden, in Verbindung mit der Gegenseite im Konflikt, der sog. „(international anerkannten) Regierung“ (F bzw. G). Die Huthis, oder die Ansar Allah-Bewegung, waren zum Zeitpunkt 2014 eine Gruppe der Gesellschaft, welche die Regierung nicht anerkennt , vielmehr selbst versucht, die Macht zu ergreifen.3 Damit lässt sich von einer Rebellion im Sinne eines Aufbegehrens sprechen. Zudem handelt es sich bei ihnen nicht um die Mehrheit in der betreffenden Gesellschaft; gerade einmal ein Drittel der Jemeniten sind Zaiditen zu denen auch die Huthis gehören.4

Weniger in das Schema der Rebellion passt aber die Tatsache, dass Mansur Hadi, der ab 2012 offiziell Übergangspräsident der Republik Jemen war, „weder im allgemeinen Volkskongress, der Regierungspartei, noch in der Armee über den nötigen Rückhalt verfügte“5. Bei der „Wahl“ 2012 war er der einzige Präsidentschaftskandidat.6 Doch selbst wenn man Hadis Einsetzung als Präsident als legitim ansieht, kann ab 2014 nicht mehr von einer legitimen Herrschaft gesprochen werden; schließlich war er nur als Übergangspräsident mit Ausblick auf Neuwahlen nach zwei Jahren legitimiert.7 International anerkannt ist er trotzdem bis heute. Deshalb ist es keine falsche Berichterstattung, die Regierung als „anerkannt“ zu bezeichnen (F), die Huthis hingegen als „Rebellen“ (A). Aber dieser Gegensatz impliziert Legitimität auf Seiten der Regierung (da Illegitimes für gewöhnlich nicht „international anerkannt“ ist oder sein sollte) und Illegitimität auf Seiten der Huthis. Dochgenau diese Dichotomie greift de facto im Jemen nicht.

Im Jemen waren über 1000 Jahre die Herrscher aus eben jener Bevölkerungsgruppe gekommen, der die Huthis angehören (den Zaiditen).8 Tatsächlich, und dies erwähnt keine einzige der 27 Einzelquellen, setzten sich die Huthis im Namen der jemenitischen Bevölkerung 2014 für die vereinbarten Neuwahlen ein und erreichten sogar Hadis Unterschrift in einer Vereinbarung für Frieden und nationale Partnerschaft.9 Der als korrupt und inkompetent10 geltende Übergangspräsident machte jedoch keinerlei Anstalten, Neuwahlen auszurichten, ignorierte vielmehr die Ultimaten.11 Ab diesem Punkt kann er nicht mehr als legitim bezeichnet werden. Stattdessen machte er den Jemen durch seine „Reformen“ in der Wirtschaft von Saudi-Arabien und Katar abhängig und bewirkte mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) und daraufhin der Teilnahme am freien Weltmarkt den Verlust tausender Arbeitsplätze.12 Auch unter anderen Gesichtspunkten sank die Lebensqualität der Jemeniten in den Jahren 2012-2014 stark. So gab es neben steigender Arbeitslosigkeit und Armut auch Enteignungen und eine steigende Zahl von Hinrichtungen.13 All diese Aspekte illustrieren, weshalb es ein Großteil der Bevölkerung als gerechtfertigt ansah, Hadis Regierung zu stürzen.

Freilich ist auch die Gewalt, die von den Huthis ausgeübt wurde und wird, damit nicht zu entschuldigen. Auch soll keinesfalls der Anspruch erhoben werden, die Ansar Allah-Bewegung als die legitime Macht im Jemen darzustellen. Das einzige Anliegen hier besteht darin aufzuzeigen, dass ein Zweifel an der Legitimität Hadis, die ja für die Saudis zumindest vordergründig ein Kriegsgrund zu sein scheint, in den Medien angebracht wäre.

Zum Teil sind die Formulierungen A und F/G wohl auch durch eine gewünschte Einfachheit bedingt, auf die der Jemenkrieg reduziert wird, um die Thematik für LeserInnen verständlicher zu machen. Doch auch wenn wir uns oftmals eine leicht zu treffende Unterscheidung in Gut und Böse oder Legitim und Illegitim wünschen, passt diese Schablone auf viele Konflikte nicht. Auch nicht auf diesen. Die bloße Bezeichnung der zwei Seiten als „Rebellen“ bzw. als „anerkannte Regierung“ impliziert aber ebendiese Schablone und zeigt somit nur, wie sehr fast alle betrachteten Online-Medien in diesem Krieg parteiisch sind.

b) Die „vom Iran unterstützten“ Huthis

Die zweite Formulierung, die in jedem Hauptmedium vorkommt, ist die These, die Huthis seien vom Iran „unterstützt“, mit dem Iran „verbündet“ oder der Iran „[stünde] hinter ihnen“ (D). Aus den 27 Einzelquellen benutzten 23 eine dieser Bezeichnungen. Damit verbunden ist auch B, die Umschreibung des Kriegs als eines Stellvertreterkriegs (die jedoch nur 4 aus 10 Hauptmedien gebrauchen), und H, die Relativierung, Saudi-Arabien und/oder die USA behaupteten, dass der Iran die Huthis unterstütze und mit deren Hilfe die saudische Vormachtstellung in der Region bedrohe.

Michael Lüders berichtet in diesem Zusammenhang von überraschenden Zahlen, die aus einem Interview des jemenitischen Journalisten Mohammed Aysh mit dem Huthi-Anführer Abd al-Malik al-Huthi stammen und über die im Jemen Übereinstimmung herrscht: Nur 80-90 iranische und libanesische Militärberater stehen auf Seiten der Huthis, keine Soldaten.14 Außerdem wird aus mehreren Quellen deutlich, dass der Iran 2014 den Huthis davon abgeraten hatte, Jemens Hauptstadt einzunehmen und die Regierung zu stürzen.15 Mithin erübrigt sich die Behauptung, die Huthis würden vom Iran „gesteuert“. Nach diesen Details sucht man jedoch in den deutschsprachigen Online-Medien vergebens.

An dieser Einseitigkeit ändert auch die oft gebrauchte Relativierungs-Behauptung (H) nichts. Erstens, weil in fast allen Beiträgen, in denen die Unterstützung durch den Iran zunächst nur als Meinung der US-Amerikaner und/oder der Saudis hingestellt wird, diese Meinung dann in der Formulierung D doch auch selbst übernommen wird. Zweitens, weil eine solche Berichterstattung das Narrativ der USA unterstützt und in Verbindung mit dem Feindbild Iran deren Unterstützung Saudi-Arabiens rechtfertigt, obwohl dahinter mit Sicherheit andere und komplexere Gründe stehen als nur der angebliche „Kampf gegen den Terrorismus“. Ein Indiz dafür ist das damalige (inzwischen von Trump aufgekündigte) Atomabkommen der USA mit dem Iran, dem Erzrivalen der Saudis, im Jahr 2015, welches zum Zeitpunkt des Beginns der von den Saudis angeführten Militäroffensive bereits als unterschriftsreif gelten konnte.16

Zurück zu den Fakten der iranischen Unterstützung: Wie oben schon bei den Begriffen der „Rebellen“ und der „anerkannten Regierung“, so ist auch hier festzuhalten: Die Information, dass der Iran die Huthis unterstütze, ist nicht falsch. Doch es ist davon auszugehen, dass das Ausmaß dieser Unterstützung sehr viel geringer ist als diese Formulierung in den Medien deren Hörer- und LeserInnen glauben lässt. Insbesondere steht die tatsächliche Unterstützung der Huthis durch den Iran in keinem Verhältnis zu der „Unterstützung“ der „jemenitischen Regierung“ durch die Saudis. (Diese Parallelisierung nahmen 4 aus den 10 Hauptquellen vor.) Und erst recht in keinem Verhältnis zu der Unterstützung, die Saudi-Arabien durch die USA erfährt. Bezüglich letzterer ist bekannt, dass die USA seit Kriegsbeginn Waffen für hunderte Milliarden Dollar an Saudi-Arabien verkauft haben17, den Saudis Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellen18 und bis Herbst 2018 auch die entscheidende Luftbetankung saudischer Kampfjets durchgeführt haben.19

Und dennoch wird die aktive Rolle der USA im Jemenkrieg in nur 11 aus den 27 Einzelquellen (6 aus 10 Hauptquellen) explizit erwähnt, also in nur etwa 40%, während die unvergleichlich geringere Iran-Unterstützung der Huthis in über 85% thematisiert wird. Im Jemenkrieg ist Saudi-Arabien keineswegs eine lediglich unterstützende Macht – es ist die Kriegspartei. Das wird schon aus der Tatsache deutlich, dass Hadi bereits zu seiner Zeit als Vizepräsident unter Saleh die Interessen des Golf-Kooperationsrates (GCC), insbesondere von Saudi-Arabien, vertrat und ab dem Sturz Salehs (2012) auch primär nach diesen saudischen Interessen handelte, etwa durch die oben erwähnten wirtschaftlichen „Reformen“.20 Sein Machtantritt sowie seine Übergangsherrschaft verdankten sich massiver Unterstützung von Seiten Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Hadi war, wie einige Quellen es nennen, nichts weiter als eine „Marionette der Saudis“.21 Dass Hadis „jemenitische Regierung“ auf sich allein gestellt gegen die Huthis keine Chance hätte, steht fest. Kurz: Im Jemen selbst hat Hadi, wie bereits erwähnt, kaum nennenwerten Einfluss. „Sein ,Regierungsapparat‘ besteht im Wesentlichen aus ihm und einigen Handlangern“, so Lüders.22

Angesichts der Tatsache, dass Saudi-Arabien an der Spitze der gegen die Huthis Krieg führenden Militärkoalition steht und mit Hilfe der US-Amerikaner bereits tausende Luftangriffe gegen den Jemen geflogen hat23, ist es somit schlicht und einfach unangemessen, bezüglich der saudischen Rolle in diesem Krieg lediglich von einer „Unterstützung der jemenitischen Regierung“ zu sprechen. Eine Analogie zur iranischen Unterstützung der Huthis zu ziehen, wie das 40% der Hauptmedien mindestens einmal tun, ist völlig daneben. Saudi-Arabien ist die Kriegspartei. Aus einem einfachen Grund, der in vielen Kriegsgrund-Überlegungen oft schlicht vergessen wird. Warum muss Saudi-Arabien die Huthis als gefährlich ansehen? Weil diese die Fraktion des Jemen sind, die sich für eine größere Unabhängigkeit vom Königreich Saudi-Arabien am entschiedensten – und ohne selbst käuflich zu sein – einsetzt.24

Somit rufen die Formulierungen über die Unterstützung der Huthis durch den Iran bei den LeserInnen der untersuchten Online-Medien insgesamt ein falsches Bild der Konfliktlage hervor. Der Einfluss Teherans wird größer gemacht als er in Wirklichkeit ist. Das geschieht durch die Verwendung der ohne weiteren Kontext gebrauchten Phrase „vom Iran unterstützt“; dieser Bezug wird viel häufiger hergestellt als der zur mit Fakten belegbaren Unterstützung der Saudis durch die USA. Die Parallelisierung zwischen saudischer Unterstützung der „jemenitischen Regierung“ einerseits und iranischer Unterstützung der Huthis andererseits suggeriert ein Mächtegleichgewicht, das so nicht gegeben ist. Auch der Begriff des „Stellvertreterkriegs“ (B) gibt genau dieses schiefe Narrativ wieder.

c) „Sunniten gegen Schiiten“

Nun zu C: d.h., zur Reduktion der Kriegsgründe auf einen religiösen Konflikt von Sunniten versus Schiiten. Man beachte: Nur diejenigen Berichte, die den Krieg auf den religiösen Konflikt zu reduzieren scheinen, sind in den Ergebnissen von C berücksichtigt. Und das ist immerhin bei der Hälfte der Hauptmedien der Fall.

In Wirklichkeit ist die Behauptung, der Jemenkrieg sei auf eine Rivalität zwischen Sunniten und Schiiten zurückzuführen, ganz fehl am Platz. Die Huthis, welche in allen Medien schlicht als Schiiten bezeichnet werden, gehören einer Sonderform der Schiiten an, den oben erwähnten Zaiditen. Diese kommen fast ausschließlich aus dem nördlichen Teil Jemens und sind „in religiöser Hinsicht den Sunniten näher als den ‚Zwölferschiiten‘ im Iran“25. Insofern daher auch dieses „Sunni versus Schia“-Narrativ die Sichtweise unterstützt, die Huthis seien stark mit dem Iran verbündet, ist somit auch dieses Narrativ schlichtweg falsch. Nichtsdestoweniger spielen religiöse Gegensätze in den verschiedenen Ursachen für den Jemenkrieg eine Rolle, wenn auch eine andere, als von den Mainstream-Medien oft impliziert wird. Erklärungskräftig für die Radikalisierungs-Entwicklung der Ansar-Allah-Bewegung ist nicht so sehr die durch etwaige religiöse Unterschiede bedingte Sunni vs. Schia-Rivalität als vielmehr die starke Marginalisierung, denen sich die Zaiditen -in der Vergangenheit über 1000 Jahre lang die dominierende Kraft ! – ausgesetzt gesehen hatten, sowie, damit verknüpft, die verstärkte Abhängigkeit von Saudi-Arabien.26

Auch die Formulierung C schreit nach einer Kontextualisierung von Seiten der Medien, z.B. mittels des Hinweises, dass die Huthis Zaiditen sind. Eine Erklärung, die einzig und allein auf einen religiösen Konflikt rekurriert, ist für den in vielerlei Hinsicht komplexeren Krieg im Jemen jedenfalls nicht passend.

d) Positive Aspekte

Es gibt in der untersuchten Berichterstattung auch positive Aspekte. Dazu zählen Beschreibungen der Vorgeschichte des Kriegs ab 2011 (Merkmal I), die bei 4 von 10 Hauptmedien in mindestens einem Beitrag zu finden waren. Angesichts dieser Tatsache wäre es jedoch erstrebenswert gewesen, wenn mehr als nur ein Hauptmedium in einem Einzelbeitrag die Legitimität Hadis in Frage gestellt hätte (M). Denn seine Wahl zum Übergangspräsidenten und die daraufhin nicht ausgerichteten Neuwahlen sind schließlich selber ein Teil dieser Vorgeschichte. Dass die Hadi-Regierung im Jemen kaum Einfluss hat (K), haben immerhin zwei Einzelbeiträge angemerkt. Auch wurde auf die Komplexität und geopolitische Relevanz, etwa für die USA, immerhin in einem Hauptmedium hingewiesen (J), und die Behauptung, dass die Huthis vom Iran unterstützt werden, nicht einfach übernommen, sondern etwas differenzierter betrachtet (L).

3 Bewertung und Schlussfolgerung

Es gibt in den untersuchten deutschsprachigen Online-Medien durchaus Stellen, an denen die kritisierten Formulierungen nicht einfach kopiert, deren Gehalt vielmehr kritisch hinterfragt wird. Doch solche differenzierteren Berichterstattungen über den Jemenkrieg sind die Ausnahme – und fehlen insbesondere in kurzen Formaten oft ganz. Gerade die kürzeren Beiträge, etwa innerhalb von Nachrichtensendungen, sind jedoch wichtig für die Meinungsbildung der breiten Bevölkerung. Sie erreichen eine größere Zielgruppe als etwa Podcasts. Dass kürzere Meldungen einfacher sein müssen als Podcasts, ist klar. Aber auch bessere Verständlichkeit für das Publikum darf kein Grund für die Verwendung verfälschender Wendungen sein.

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