Solidarität statt Isolation! Ein Interview zur Corona-Pandemie

Die aktuelle Ausgabe des Gefangenen Infos

Bereits Mitte April haben wir dieses schriftliches Interview mit dem Gefangenen Info geführt.

Im Rahmen der monatlichen Radio-Sendung „Wie viel sind hinter Gittern, die wir draußen brauchen“ fand ein Interview mit Zusammen Kämpfen (Magdeburg) statt. Auf Grund der relativ kurzen Zeit drucken wir ein überarbeitetes schriftliches Interview ab.

Redaktion:

Seit Ende Januar ist nun das „Corona-Virus“ in Deutschland angekommen. Es ist vielleicht etwas spitz formuliert, aber was unterscheidet die „Corona-Pandemie“ vom kapitalistischen Normalzustand?

Zusammen Kämpfen:

Der kapitalistische Alltag ist geprägt von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, jährlich sterben Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung, in vielen Teilen reichen leichte Erkrankungen aus, um den Tod auf Grund mangelnder hygienischer und medizinischer Maßnahmen zu erliegen. Unter diesem Blickpunkt gesehen ist das „Covid-19-Virus“ „nur“ ein weiteres Faktum, der Menschen zum sterben bringen kann. Allerdings hat das Virus ein weltweites Chaos verursacht, was sich in allen Lebensbereichen niederschlägt. Als Nicht-Mediziner können wir nur schwer darüber urteilen, ob und inwiefern die getroffenen Maßnahmen zum gewünschten Ziel führen, wir können aber festhalten, dass es weltweit zu massiven rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Einschränkungen gekommen ist. Während sich die Herrschenden im kapitalistischen Alltag an der üblichen Rechtsnorm orientieren und diese für sich je nach Bedarf interpretieren, wurden im Falle von „Corona“ neue gesetzliche Grundlagen geschaffen. Deutschland wird bspw. nach dem Bundesinfektionsschutz regiert, weil das Grundgesetz für solche Fälle keine Ausnahmeregelung zulässt. Einen weiteren Unterschied können wir in den riesigen Rettungsschirmen für die Unternehmen konstatieren, die ohne nennenswerten Widerstand durchgesetzt werden konnten. Das war bspw. in der großen Finanzkrise 2008/2009 und auch bei anderen, schwerwiegenden gesellschaftlichen Veränderungen wie „Hartz IV“ anders. Das heißt, die „Corona-Pandemie“ hat ungemein dabei geholfen, noch nie dagewesene Umverteilungsprojekte ohne großen Widerstand durchzuführen. Es mag vielleicht auf den ersten Blick verwirrend klingen, aber es würde durchaus Sinn machen und das finden wir in einigen wissenschaftlichen Diskussionen wieder, die aktuelle Situation als feudalistisch einzustufen – denn bereits damals besaß der Klerus & Adel die absoluten Eigentumsrechte und verfügte über den Großteil des Grund und Boden, so etwas wie Bildungsinstitutionen gab es nicht, bzw. wurde Bildung in der Herkunftsfamilie nach dem jeweiligen Bedarf organisiert und die „Sozialpolitik war privatisiert“, um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade in der heutigen Zeit sehen wir uns mit einer ähnlichen Situation konfrontiert: In diesem Prozess wird es zur weiteren Monopolbildung kommen, d.h., immer weniger besitzen immer mehr am gesellschaftlichen Eigentum. Es waren die Bildungseinrichtungen, die als erstes geschlossen wurden und die Bildung wurde zurück in die Familien getragen und zu guter Letzt wurden Ausgangssperren und Kontaktverbote erteilt, ohne dafür eine Infrastruktur zu gewährleisten, die es gerade den Hilfebedürftigen ermöglichen würde, trotz dieser massiven Einschränkungen entsprechend an Lebensmittel und anderen lebenswichtigen Dingen zu kommen. Die konkrete Hilfe wurde in vielen Teilen der Welt „privatisiert“, auf das eigene soziale Umfeld begrenzt, oder durch Spenden, Stiftungen, Vereine und solidarische Mitmenschen organisiert.

Für uns gilt es deutlich zu machen, dass wir uns als Gruppe über die Gefährlichkeit der „Covid-19-Pandemie“ bewusst sind, die „Corona-Krise“ allerdings die kapitalistischen Widersprüche zuspitzt und zur weiteren Verarmung und Ausgrenzung führt. Das Virus fungiert quasi als Brandbeschleuniger, wird aber als etwas naturgegebenes, unvorhergesehenes instrumentalisiert.

Red.:

In eurem ersten veröffentlichten Beitrag sprecht ihr von einer Naturgewalt. Warum ist für euch die „Corona-Pandemie“ keine zufällige Naturgewalt, sondern hat viel mit der Naturgewalt des Kapitalismus zu tun?

ZK:

Das ist eine gute und wichtige Frage. Der Begriff der Naturgewalt ist dabei keine Erfindung unserer Gruppe, sondern ein Kampfbegriff der Anfang der 1970er Jahre vom Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) geprägt wurde und es ist ein Sinnbild für die derzeitige Situation. Der Begriff der Naturgewalt bestimmt dabei die historische Komponente, denn in den Stammesgesellschaften war die Organisation in Sozialverbänden eine Überlebensfrage, um die mächtigen Naturgewalten zu überstehen. Somit galten die Sozialverbände als Reaktion auf die den Menschen als blinde Macht erscheinende Naturgewalt, anderseits reproduzieren aber die Sozialverbände die Naturgewalt im Inneren als gesellschaftliche Macht. Die menschliche Geschichte kann demnach nur sein, wenn mit dem Leben als etwas rein naturwüchsiges, biologisches gebrochen wird. Die Schlussfolgerung hieraus, dass die heutige Organisation der Menschen in ihren Gesellschaftsstrukturen als ein soziales Konstrukt verstanden werden muss und eine wichtige Stütze im Kampf gegen die neoliberalen Denkfabriken darstellen. Die Auseinandersetzung mit dem SPK kann eine gute Grundlage bilden um sich dem Begriff der Krankheit zu nähern. „Nach Marx ist die Geschichte der Menschheit die Geschichte ihrer Entfremdung und die Aufhebung dieser Entfremdung. Krankheit ist weder Teil noch auch bloße Form der Entfremdung, sondern sie ist die Entfremdung aber als subjektiv, als erlebte körperliche und seelische Bedürftigkeit der Einzelnen.“ Das historische Postulat des SPK nun auf die aktuelle „Corona-Krise“ zu übertragen, scheint wahrscheinlich den Wenigsten sinnig. Doch es werden zwei zentrale Begriffe herausgestellt, die gerade in der aktuellen Situation von enorme Bedeutung sind – Entfremdung und Krankheit. Die Krankheit, in diesem Fall die Erkrankung durch das „Covid-19-Virus“, leistet eben auch der menschlichen Entfremdung enormen Aufschub. Theoretisch können wir annehmen, dass durch die fortschreitende Entwicklung der Produktivkräfte (also konkret mit dem wissenschaftlichen, technologischen, medizinischen, etc. Wissen, mit dem aktuellen Stand der Technik, usw. usf.) und durch die fortschreitende Beherrschung der Natur, dass alle Grundlagen gelegt sind um den Menschen ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu gewährleisten. Es sind die „gewaltsamen aufrechterhaltene anarchischen1 kapitalistischen Produktionsverhältnisse“, die der Befreiung des Menschen von den Zwängen der Natur und der Gesellschaft entgegenstehen. Deshalb sieht sich der/die Einzelne in den kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen gesellschaftlichen Gewalten gegenüber, die ihm/ihr ebenso als blind und naturwüchsig erscheinen. Es ist weniger das „Covid-19-Virus“ was uns blind macht, sondern die damit verbundenen Regularien der Herrschenden weltweit, die uns die gesellschaftliche Macht als eine blinde Gewalt darstellt, die nun schnellst möglich reagieren muss um das Virus in den Griff zu bekommen. Koste es, was es wolle…

Red.:

Welche Bedeutung hat damit die Pandemie für euch als Gruppe und wie bewertet ihr diese?

ZK:

Wir haben unterschiedliche Meinungen zu dieser Frage, gerade was den entsprechenden hygienischen und medizinischen Umgang damit angeht. Es gibt bundesweit mittlerweile eine Vielzahl politischer Texte, die unsere Diskussion widerspiegeln und zum Teil eine gewisse Widersprüchlichkeit darstellen. Ein Beispiel hierfür könnte die Konzentrierung auf das Aussetzen der Grundrechte sein. Macht es Sinn, in einer solchen Situation an die Aufrechterhaltung der Grundrechte zu appellieren und daran festzuhalten? Natürlich begrüßen wir in dieser Form die Existenz der Grundrechte, aber viele Menschen fordern ja selbst Ausgangssperren, was wiederum den Kampf für die Grundrechte marginalisieren könnte. Auf der anderen Seite gehört das politische Widerstandsrepertoire, welches uns die Grundrechte zur Verfügung stellen, zu unserem politischen Alltag, wie Kundgebungen und Demonstrationen. Und in Anbetracht der weiteren rasanten Verschärfung der Klassengegensätze ist es äußerst wichtig, den politischen Widerstand auf die Straße zu tragen, was aber auf Grund der Einschränkungen zur verschärften Repression führt. Was uns aber in diesem Prozess eint, ist das Zusammenkommen. Auch wenn die Situation Vorsichtsmaßnahmen erfordert, ist für uns die kollektive Diskussion und Auseinandersetzung zentral. Für uns war von Beginn an klar, dass wir die Diskussionen aufrechterhalten müssen und den Widerstand nicht vertagen können. Widerstand meint in diesem Kontext auch und gerade die Auseinandersetzung mit Ängsten und Verunsicherung, zu denen es unweigerlich auf Grund der massiven gesellschaftlichen Veränderungen gekommen ist. Wichtig für uns ist die Konzentrierung auf die Stadtteilarbeit und die besondere Solidarität mit bestimmten Berufsgruppen, die sich nicht auf Dankes-Worte und Applaus beschränkt, sondern vielmehr politische Forderungen in die Debatte einbringt. Ein zentrales Element für uns nimmt das Gesundheitswesen ein. Wobei es besser ist, von einer Krankheitsverwaltung zu sprechen. Damit verbunden sind zum einen die MitarbeiterInnen dieses Systems, aber auch die Privatisierungswellen der letzten Jahrzehnte der verschiedenen Bundesregierungen, die allesamt zum Ziel hatten, einen profitablen „Gesundheitsmarkt“ zu schaffen, bei dem weniger das Wohl der PatientInnen im Mittelpunkt steht, sondern vorrangig der Profit. Es ist wieder mal bemerkenswert, dass bspw. die Stimmen für CDU/CSU zunehmen, während die bürgerlichen Parteien, genauso wie die SPD, Bündnis 90/Die Grünen oder auch die FDP, für eben diese Misere in der Krankheitsverwaltung verantwortlich sind. Wir alle sind letztlich von der Krankheitsverwaltung betroffen und die derzeitige Krise führt uns lediglich vor Augen, dass wir uns für die Vergesellschaftung des „Gesundheitswesen“ einsetzen müssen, um der Profitgier auf unsere Kosten ein Ende zu setzen. Es ist nicht die „Corona-Krise“, die die Krankenhäuser an ihre Grenzen treibt, sondern der Ausverkauf durch die Politik. Das ist ein langwieriger Prozess, der bereits Anfang der 1970er Jahre einsetzte und über verschiedene Etappen vonstatten ging.

Red.:

Warum bezeichnet ihr das Gesundheitssystem als Zwei-Klassenmedizin?

ZK.:

Ja, weil es so ist und das in vielerlei Hinsicht. Am offensichtlichsten für alle wird der Terminus in der Betrachtung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV). Im Endresultat bedeutet das, wer mehr Geld hat, kann sich eine bessere Gesundheitsfürsorge kaufen, während die GKV nur die notwendigsten Sachen abdeckt. Mittlerweile kommen wir ja ohne Zuzahlungen gar nicht mehr aus und so wird die Gesundheit zunehmend privatisiert, auch im Bereich der GKV. Die Beiträge steigen und die Zuzahlungen zu Medikamenten und weiterführenden Behandlungen werden immer teurer. Ärzte verdienen an Privatpatienten einfach mehr, weshalb sie auch erhebliche Vorzüge genießen, die sich nicht nur in verkürzten Wartezeiten niederschlagen. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems (DRG) nahm diese Entwicklung enormen Auftrieb, weil es mittlerweile so ist, dass die Ärzte und Krankenhäuser mit bestimmten Erkrankungen einfach mehr verdienen und für andere Erkrankungen reichen die Pauschalen gar nicht aus, um die anfallenden Kosten zu decken. Das heißt, es gibt einen deutlichen Behandlungsunterschied zwischen der GKV und der PKV, mittlerweile aber auch zwischen den PatientInnen in der GKV. Eine Vielzahl privater Krankenhausketten spezialisieren sich auf bestimmte Fälle, weil sie wissen, damit mehr Geld zu verdienen. Das Bündnis „Krankenhäuser statt Fabriken“ bspw. macht auf genau diesen Unterschied aufmerksam – es sind eben keine Krankenhäuser im eigentlichen Sinne mehr, sondern Fabriken in denen das „produziert“ wird, was am meisten Geld bringt.

Der Begriff der Zwei-Klassen-Medizin geht aber noch weiter, denn mittlerweile gibt es viele Untersuchungen die auf den Umstand hinweisen, dass ärmere Menschen auch häufiger an bestimmten Erkrankungen erkranken. Das ist eine historische Komponente, erinnert sei an die Arbeiten von Otto Rühle (1920er Jahren) oder auch an Jan-Carl Raspe (1960/70er Jahre), die jeweils auf den Umstand hingewiesen haben. Wer arm ist, ist schneller krank. Wer reich ist, kann sich eine entsprechende Gesundheitsfürsorge leisten. Im Fall von der „Corona-Krise“ ist das ein wesentlicher Baustein um zu erkennen, dass wir nicht alle im gleichen Boot sitzen, sondern die armen Menschen besonders unter der Situation zu leiden haben und auch einen Großteil der Risikogruppe ausmachen. Die Klassenlinie in der Krankheitsverwaltung ließe sich beliebig fortfahren, bereits das SPK untersuchte das Verhältnis zwischen Ärzte und Patienten, das Verhältnis der Krankenkassen zu den Patienten und allgemein fand eine Einordnung in die kapitalistische Gesellschaftsstrukturen statt. Das erfreuliche ist, dass diese Diskussion nicht ganz verschwunden sind (also aus der radikalen Linken schon, aber in wissenschaftlichen Diskursen finden sie nach wie vor Eingang). Der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte bspw. druckte in seiner Zeitschrift „Gesundheit braucht Politik“ einen älteren Text von Hans-Ulrich Deppe ab, der auf die Widersprüche hinweist, in dem der deutlich macht: „Insgesamt sind die Ärzte, als Teil der gesellschaftlichen Zwischenschichten, für die Analyse aktueller gesellschaftlicher– insbesondere jedoch gesundheitspolitischer– Veränderungen ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Denn Zwischenschichten tendieren teilweise zu den Vorstellungen der Arbeiterbewegung, sind allerdings zugleich auch nach wie vor das Rekrutierungsfeld bzw. Bündnispartner für die Unternehmerschaft.“ Das macht aus dem Mediziner nicht gleich den Mediziner, der auf Kosten unserer Gesundheit möglichst viel Profit rausschlagen möchte. Es gibt eine Vielzahl solidarischer ÄrztInnen, „GesundheitsmitarbeiterInnen“ und PflegerInnen, die die aktuelle Situation als ebenso kritisch einstufen und dafür auch noch die nötige Expertise besitzen. Erinnert sei an die Streiks der Pflegekräften in den letzten Jahren oder auch das Europäische Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Das Problem hierbei ist nur, dass es vereinzelte Initiativen sind und nicht in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingebettet sind.

Red.:

Wie sind denn die Menschen in Magdeburg vom „Corona“ betroffen?

ZK.:

Für die PatientInnen in Magdeburg, die auf Grund ihres hohen Alters, bestehender Vorerkrankungen o.ä. regelmäßig Arztpraxen aufsuchen müssten, ist die Situation besonders kritisch. Zum einen ist keine kollektive Problemlösung im Gesundheitswesen angestrebt worden. Die Bereitstellung einer Fieberambulanz für Coronafälle wurde nicht etwa staatlich koordiniert, sondern musste zunächst von Einzelpersonen organisiert werden und erfolgte äußerst schleppend. Die Idee dahinter war es, eine spezialisierte Stelle einzurichten, die sich ausschließlich mit Covid-19 Fällen beschäftigt, um die allgemeine Gesundheitsversorgung nicht durch Überlastung der Notaufnahmen und Praxen zu gefährden. Funktionieren tut dies in der Realität jedoch nicht, da diese Ambulanz völlig überlastet ist und personell mangelhaft ausgestattet ist. Teilweise werden die Arbeiten dort von „freiwilligen“ Ärzten, neben ihrer normalen Werktätigkeit, übernommen. Bis zum heutigen Tag müssen Corona-Tests vereinzelt auch in normalen Allgemeinarztpraxen durchgeführt werden, durch den Mangel an bereitgestellten Hygieneartikeln führt das zu einer erhöhten Gefahr einer Infektion. Auch die Entscheidung über das Maß und den Umfang der Hygienemaßnahmen, wird durch den jeweiligen Arzt oder der Ärztin getroffen, es gab keine konkreten Anweisungen durch bspw. das Gesundheitsamt. Durch das Setzen auf individualistische Entscheidungen der einzelnen Praxen und Krankenhäuser, ergibt sich somit ein Flickenteppich in der gesundheitlichen Versorgung. Manche Arztpraxen haben seit dem Beginn der Krise komplett geschlossen, andere wiederum führen den Betrieb ganz normal weiter, wieder andere haben auf einen Minimalbetrieb umgestellt. Auch hier wird anhand individueller Voraussetzungen wie z.B. Personalsituation, wirtschaftliche Lage des Eigentümers, Ausstattung der Praxis etc. entschieden. Durch das Fehlen einer kollektiven Entscheidungsfindung werden somit genau die Menschen gefährdet, die zur Risikogruppe gehören, da ihre medizinische Grundversorgung nicht gewährleistet werden kann. Wir hatten im Voraus thematisiert, dass Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen wie z.B. Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Diabetes, oder auch psychischen Erkrankungen, eher in Einkommensschwachen Verhältnissen leben, bzw. dass eben diese materiellen Voraussetzungen solche Krankheiten begünstigen. Somit wird also deutlich, dass gerade Menschen unserer Klasse von der „Corona-Krise“ und deren Folgen betroffen sind. Wir wollen jedoch noch einmal betonen, dass durch „Corona“ die Fehler und Lücken dieser privaten Krankheitsverwaltung deutlich geworden sind, aber diese Fehler existierten schon, bevor die derzeitige Krise begann. Dieses System wird auch von jeder zukünftigen gesundheitlichen Krise bis ins Mark erschüttert werden. In dieser Frage gibt es nur eine logische Forderung, nämlich die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens, in dem der Mensch und nicht der Profit im Vordergrund steht.

Red.: Wie arbeitet ihr mit ihnen?

ZK.:

Es sind vor Allem die älteren und ohnehin erkrankten Menschen die besonders von der Krise und deren Folgen betroffen sind. Sie können momentan ihre Häuslichkeit nicht verlassen um sich zu versorgen. Wir haben uns seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen deshalb Gedanken gemacht, wie man solidarische Unterstützung und Hilfe leisten könnte. Gleichzeitig wollten wir auch kollektiv handeln und versuchen, unsere Gedanken und Überlegungen mit anderen Menschen der Klasse zu teilen. Entstanden ist daraus die solidarische Nachbarschaftshilfe, welche von uns in unserem Stadtteilladen organisiert wird. Es wurde ein Netzwerk von HelferInnen organisiert und eine Telefonhotline geschaffen, über die sich Menschen aus den Risikogruppen jeder Zeit melden können. So werden Einkäufe organisiert, NachhilfelehrerInnen für Hausunterricht vermittelt oder bei anderen Belangen geholfen. Das alleine wäre jedoch eine reine Symptombekämpfung. Wir wollen zusätzlich mit allen HelferInnen und KlientInnen in Kontakt treten, mit unseren politischen Ideen und Forderungen in Berührung bringen und sie letztendlich auf die eigentlichen Probleme des kapitalistischen Alltags aufmerksam machen. Solidarität wäre außerdem nur ein Lippenbekenntnis, wenn sie nur in Krisenzeiten aufflammt, deshalb wollen wir das Projekt der solidarischen Nachbarschaftshilfe auch nach den Zeiten der Ausgangsbeschränkungen aufrechterhalten, um unsere Basis in der Klasse zu stärken.

Red.: Kommen wir langsam zu den Schlussfragen. Wer profitiert eurer Meinung nach von der „Corona-Pandemie“?

ZK.:

Die Frage lässt sich erst in ein paar Jahren endgültig beantworten, wenn ein Ende der Übernahmeschlachten absehbar ist. Fakt ist auf der einen Seite, dass viele Wirtschaftsbranchen zusammen gebrochen sind und es äußerst schwer sein wird, dass sich diese wieder von den wirtschaftlichen Folgen erholen werden. Wir haben mehr als 650.000 Betriebe, die Kurzarbeit angemeldet haben. Viele dieser Betriebe werden schließen müssen oder werden von großen Unternehmensketten aufgekauft. Profitieren werden die großen Unternehmer, Vorstandsmitglieder und Aktionäre der wirklich großen Betriebe. Volkswagen bspw. wird wohl kaum Verluste einfahren, weil die Gewinne aus den letzten Jahren nicht angetastet werden, sondern auf die Gelder der SteuerzahlerInnen durch Kurzarbeit zurück gegriffen wird. Die „Corona-Pandemie“ wird die seit Jahrzehnten anhaltende Tendenz der weiteren gesellschaftlichen Polarisierung nur verstärken, d.h. die gesellschaftliche Mitte wird weiter an den Rand gedrängt und diejenigen, die bereits vor der Krise schon außerhalb des gesellschaftlichen Randes standen, werden weiter in die Armut gedrängt.

Es wird massive Profiteure im „Gesundheitswesen“ geben, weil kleinere Krankenhäuser die finanzielle Last gerade nicht aushalten werden. Es wird wahrscheinlich das Folgen, was die Bertelsmannstiftung im Sommer 2019 gefordert hat: Die Schließung unzähliger Krankenhäuser auf Kosten unserer Gesundheit und das wiederum stärkt nur die finanzstarken großen Krankenhausketten wie Fresenius, Ameos, Asklepios, etc.. Die Folgen für uns werden weitere Privatisierungsmaßnahmen sein, die uns die Gesundheit noch teurer machen werden. Die Medien berichten täglich darüber, dass es Rettungspakete in nie dagewesener Form sind, die nun eingesetzt werden. Das hat fatale Folgen vor allem für BezieherInnen von SGB 2, den RentnerInnen, der Beschäftigten im Niedriglohnsektor, der LeiharbeiterInnen und auch für die mittelschichtigen Stammbelegschaften. Der Einzelhandel, im speziellen die großen Discounter, sind definitiv große Profiteure der Krise. Denn eine so hohe Nachfrage schafft auch enorm viel Umsatz, welcher aber wiederum nur private Taschen füllt und nicht zum finanziellen Ausgleich der Krise eingesetzt wird. Es sind die IT-Unternehmen und Internetriesen wie Amazon, die unglaublich viele Gewinne aus der Krise ziehen. Fakt ist, es gibt trotz „Shut-Down“ eine Vielzahl von Profiteuren, die wir auch für die Krise mitverantwortlich machen sollten, weil sie den Gewinn aus der Krise eben nicht vergesellschaften um so die größten Auswirkungen der Krise abzumildern. In diesem Zusammenhang sollten wir auch die verschiedenartigen Aussagen der Politiker zu den allgemeinen Ausgangsbeschränkungen einordnen, die auch nur das Spiegelbild der verschiedenen Lobby-Gruppen darstellen. Diejenigen, die von den Beschränkungen wirtschaftlich profitieren, ist natürlich daran gelegen, die Maßnahmen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, während andere wiederum ein schnelles Hochfahren der Wirtschaft favorisieren, weil sie eben ihre Gewinne davon schwimmen sehen.

Darüber hinaus profitieren auch gesellschaftliche Diskurse von der „Corona-Pandemie“. Wie schon angesprochen gab es die Forderung der Bertelsmannstiftung, die nun über Umwege erfüllt werden wird. Es gab immer wieder hitzige Debatten über den Digital-Pakt und die Digitalisierung im Allgemeinen. Während Streaming-Dienste ganz konkret weitere Profiteure sind, wurde/wird auf der anderen Seite eine Digitalisierung in Schulen und Hochschulen durchgesetzt, ohne das dafür strukturelle Voraussetzungen erfüllt worden wären. Während einige die AFD in diesen Zeiten belächeln, so müssen wir konstatieren das ihre populistischen Forderungen nach Grenzschließungen in einem Hand-umdrehen umgesetzt wurden. Faschistische Parteien stehen grundsätzlich für den Abbau des Sozialstaats ein, was wir in den kommenden Jahren noch viel intensiver spüren werden. Wir können an dieser Stelle keine abschließendes Plädoyer sprechen, wer letztlich von der Krise profitieren wird. Wir sollten aber äußerst wachsam sein, wenn uns Angela Merkel die Situation als eine der größten Herausforderung nach dem 2. Weltkrieg darstellt. Was wollen die oben uns hier unten damit sagen? Das wir erst am Beginn eines weltweiten Flächenbrands stehen, denen noch viele weitere Opfer folgen werden? Wird sich die jetzige Art des Regierens auch darüber hinaus als gültige Verfassung etablieren? Wird es bald eine neue Währung geben und bekommen die BürgerInnen, die über entsprechendes Tauschgeld verfügen, bald wieder ein Startgeld von 40 DM? Oder knüpft die Bundeskanzlerin mit ihrer Aussage sogar noch an die Zeit vor 1933 an, in dem uns die Wirtschaft ans offene Messer des Faschismus ausgeliefert hat?

Red.: Vieles wurde bereits schon gesagt, doch wie verhält sich die herrschende Klasse zur „CoronaPandemie“ gegenüber den Reichen und den Deklassierten?

ZK:

Einige Punkte davon haben wir bereits angesprochen, vieles wurde dazu bereits geschrieben und die bürgerlichen Politiker lassen ja ganz offen ihre Masken fallen. Es geht um die Sicherung des Profits und um die weitere Konzentration der Macht. Wir wollen das an dieser Stelle nicht wiederholen, sondern viel mehr darauf hinweisen, dass die bürgerlich-herrschende Klasse keineswegs über solche Pandemie überrascht sein kann. Bereits 2013 gab es solche Szenarien und das „Corona-Virus“ macht die Herrschenden keineswegs moralisch ansehnlicher. Ganz im Gegenteil. Um mal an die Termini von Angela Merkel anzuknüpfen, der Blitzkrieg nimmt erst noch so richtig fahrt auf und durch den Wegfall der sozialistischen Ländern kann der Kapitalismus ungebremst seit 30 Jahren auf Profitjagd gehen.

Red.: Worin seht ihr sowohl für euch als auch für die revolutionäre Linke allgemein praktische Schritte hier und international gegen die „Corona-Pandemie“?

ZK:

An erster Stelle wollen wir betonen, wer von Corona redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen. Das heißt wir sehen uns mit der Aufgabe konfrontiert, die Klassenkämpfe ebenfalls zu intensivieren. Auch wenn die Ausgangsbedingungen ungleich schwerer sind. Ein erster kleiner Schritt war für uns die Etablierung einer Nachbarschaftshilfe, um konkrete Folgen für Teile unserer Klasse abmildern zu können. Darüber hinaus haben wir gute Chancen, den Klassencharakter des Kapitalismus wieder in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen um deutlich zu machen, dass nur die Überwindung des Kapitalismus hin zum Sozialismus eine wirkliche Möglichkeit bedeuten würde, das Leben unserer Klasse zu schützen. Wir konnten genug progressive Erfahrungen in 40 Jahren real existierenden Sozialismus sammeln und können uns bspw. an die medizinische Versorgung in der DDR orientieren. Da können wir sagen, es ging um das Wohlergehen der BürgerInnen und nicht um den Profit. Die Linke steht vor der Aufgabe, sich mit ernstzunehmenden Alternativen auseinanderzusetzen und diese zu leben. Das Gesundheitssystem der sozialistischen Länder ist dabei nur ein Beispiel. Fakt ist aber auch, dass der Kommunismus des 20. Jahrhundert es geschafft hat, das barbarische Vorgehen des Kapitalismus im Zaun zu halten. Für uns ein Grund, gesellschaftliche Alternative wieder breiter zu diskutieren. Auf der Arbeit, in der Schule, in der Uni oder im Kiez, die Möglichkeiten sind vorhanden. Darüber hinaus muss die revolutionäre Linke hier und international wieder enger zusammenwachsen um geeint gegen einen starken Feind vorzugehen. Es gibt viele Texte zur „Corona-Krise“, aber keine gemeinsamen Analysen, die ein breites praktisches Vorgehen ermöglichen. Ebenso muss die Linke ihr Verhältnis zur „Wissenschaft“ prüfen. Selbst Kommunistische Gruppen in diesem Land halten das Vorgehen der Bundesregierung aus medizinischer Sicht für sinnvoll und entsagen Menschen ihre Solidarität, die „Corona-Partys“ veranstalten. Wir halten das für völlig unreflektiert, weil es weder das Virus verharmlost noch eine entsprechende kritische Distanz zu den Herrschenden herstellt. In dem ein nach außen hin „neutrales Gremium“, in diesem Fall die Medizin, genauer gesagt das Robert-Koch-Institut, hinzugezogen wird, scheinen die Klassenverhältnisse außer Kraft gesetzt zu sein. Es fehlt die grundsätzliche Kritik an solchen Grundlageninstituten, die als objektive Einrichtungen inszeniert werden aber nur den Interessen der Herrschenden dienen. Es gab kein „Krisenstab“, der sich aus vielen Fachbereichen zusammengesetzt hat, um die fatalen Folgen solch eines Ausnahmezustandes zu begutachten. So langsam werden die Politiker-Stimmen laut, die vor häuslicher Gewalt, der Kindeswohlgefährdung usw. warnen. Das sind Fakten, die wir noch vor den Kontaktverboten besprochen haben. Die oft postulierte Alternativlosigkeit des Kapitalismus gilt es brennend zu hinterfragen, damit wir uns für einen „neuen Sozialismus“ stark machen können. Die „Corona-Pandemie“ führt uns deutlich vor Augen, der Kapitalismus ist keine gesamtgesellschaftliche Lösung ist – sondern ausschließlich das Profitinteresse der Besitzenden und Vermögenden regelt. Wir, als Klasse der Ausgebeuteten und Unterdrückten, können selbst für uns und unsere gesellschaftlichen Werte sorgen und den gesellschaftlichen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit auflösen.

Nutzen wir die Krise um als organisierte Klasse gestärkt hervor zu gehen, die Kämpfe werden noch andauern und eine große Herausforderung nach dem 2. Weltkrieg war es, eine sozialistische Staatengemeinschaft aufzubauen, deren progressiven Momente für uns heute einen wichtigen Bezugspunkt darstellen können – lasst uns damit beginnen!

1 anarchisch: einem Chaos ähnlich; die Interpretation dieses Begriffes bezieht sich nicht auf ideologische Muster des Anarchismus, sondern steht für seine reine Wortbedeutung

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