Palästinensische Jugendliche werden in Gewahrsam routinemäßig von israelischen Soldaten misshandelt, gibt ein ehemaliger israelischer Militärkommandeur gegenüber Katya Adler, BBC Berichterstatterin für Jerusalem und das Westjordanland zu.
“Man schnappt sich den Jungen, verbindet ihm die Augen, fesselt seine Hände. Dabei zittert er heftig … manchmal fesselt man auch seine Füße. Dies kann ihm die Blutzirkulation abschnüren. Er bekommt nichts davon mit, was um ihn herum vorgeht, und hat keine Ahnung, was mit ihm geschehen wird. Er weiss nur, dass wir Soldaten mit Gewehren sind. Dass wir Menschen töten. Vielleicht fürchtet er, dass wir auch ihn töten. Oftmals bepinkeln sie sich, sitzen einfach da und pinkeln sich in die Hosen, weinen. Aber normalerweise sind sie sehr ruhig.”
Eran Efrati war früher Kommandeur in der israelischen Armee. Er diente im besetzten Westjordanland.
In einem Park in Jerusalem treffen wir ihn, um über Anschuldigungen gegen israelische Soldaten wie ihn zu diskutieren, sie würden häufig palästinensische Minderjährige, die des Steinewerfens beschuldigt werden, misshandeln. Mr. Efrati – der vor fünf Monaten die Armee verlassen hat – sagt, die Anschuldigungen seien berechtigt:
“Nie habe ich jemanden verhaftet, der jünger war als zehn Jahre, aber 14, 13, 11, für mich sind das noch Kinder. Doch sie werden wie Erwachsene behandelt. Jeder Soldat, der in den besetzten Gebieten gedient hat, kann ähnliche Geschichten erzählen. Die ersten Monaten nachdem ich die Armee verlassen hatte träumte ich die ganze Zeit von Kindern. Jüdischen Kindern. Arabischen Kindern. Sie schrien… Womöglich werden dem Jungen die Augen verbunden, damit er unsere Militärbasis nicht sehen kann und wie wir arbeiten… aber ich glaube wir machen das, weil wir seine Augen nicht sehen wollen. Man will nicht dass er uns ansieht, uns anfleht aufzuhören, vor uns weint. Es ist sehr viel einfacher, wenn wir seine Augen nicht sehen können.
“Wenn ein Junge dort in unserer Militärbasis sitzt – ich habe es nicht getan – aber niemand sieht in ihm ein Kind – wenn dort jemand mit verbundenen Augen und Handschellen sitzt, dann hat er wahrscheinlich etwas wirklich Schlimmes getan. Es ist in Ordnung ihn zu schlagen, ihn zu bespucken oder zu treten. Es ist wirklich egal.”
Junge Palästinenser werden meist festgenommen, weil sie Steine auf Siedler oder israelische Soldaten werfen. Dies ist, so sagen sie, die einzige Möglichkeit ihrer Frustration gegen die militärische Besatzung ihrer Heimat durch Israel Luft zu machen.
In Bil’in, einem Dorf im Westjordanland, organisieren Palästinenser wöchentlich Demonstrationen gegen Israel’s Separationsmauer. Israel sagt die Mauer sei notwendig, um Angriffe gegen seine Bürger zu unterbinden. Palästinenser nennen es Landraub. Sie sagen die Mauer mache ihnen das Leben noch schwerer. Israelische Soldaten beobachten die Proteste von der anderen Seite der Mauer aus.
Nächtliche Verhaftungen
Neulich auf einer dieser Demonstrationen beobachtete ich eine Gruppe palästinensischer Jungen, wie sie zwischen den Olivenbäumen umherliefen, Steine sammelten und diese gegen Soldaten warfen. Manche benutzten Steinschleudern. Viele verbargen ihre Identität hinter Tüchern oder Schals, die sie um ihre Gesichter gewickelt hatten. Die Soldaten antworteten mit Tränengas und Schallgranaten. Manchmal schossen sie auch gummiummantelte Stahlgeschosse.
Nach solchen Vorkommnissen greifen israelische Soldaten häufig das Dorf an. In der Regel mitten in der Nacht. Die Verhaftungen können brutal sein.
“Ihre Gesichter waren bemalt als sie ihn holen kamen. Es war erschreckend. All diese Soldaten für einen Jungen. Im Jeep haben sie ihm Gewichte aus Eisen auf den Rücken gelegt und ihn den ganzen Weg zum Gefängnis geschlagen. Er konnte eine Woche lang nicht aufstehen.”
Mohammad Ballasi’s 15-jähriger Sohn Mohammad wurde wegen Steinewerfens von israelischen Soldaten verhaftet. Wir trafen ihn und seine Frau vor einer israelischen Militärbasis im Westjordanland. Palästinensische Jugendliche werden vor Militärgerichte gestellt. Als Minderjährige werden dort Palästinenser unter 16 Jahren angesehen. In israelischen Zivilgerichten gelten unter 18-Jährige als minderjährig.
Mohammad’s Eltern sahen ihn zum ersten Mal nach seiner Verhaftung zu seinem Gerichtsverfahren vor zwei Wochen. Er bekannte sich dort schuldig.
“Wenn man so geschlagen wird, sagt man selbst gegen die eigene Mutter aus,” sagt Suad Ballasi und unterdrückt seine Tränen. “Er ist ein Kind. Seine Freunde spielen auf der Straße während er in Handschellen sitzt. Ich konnte vor Gericht nicht aufhören zu weinen. Es fühlt sich an als würde mein Herz explodieren.”
Die Menschenrechtsorganisation “Defence for Children International” (DCI) hat in einem Bericht das israelische Militär der systematischen und institutionalisierten Misshandlung und Folter palästinensischer Kinder beschuldigt.
Gerard Horton ist ein Anwalt bei der DCI. Er sagt, Mohammad Ballasi’s Geschichte sei keine Ausnahme.
“Wir hören immer wieder von solchen Vorfällen. Israel hat die UN Konvention gegen Folter unterzeichnet – und auch die UN-Kinderrechtskonvention. Auch nach dem internationalen Gewohnheitsrecht ist es verboten, -insesondere Kinder- zu misshandeln und zu foltern.”
Er erzählte mir, Israel habe letzes Jahr 9.000 Palästinenser verhaftet – davon waren 700 Kinder. Mr. Horton sagt, die Militärgerichte stünden unter Druck, Fälle schnell zu bearbeiten.
Die Organisation DCI glaubt es wäre im Interesse von gleichsam Erwachsenen wie Kindern, auf schuldig zu plädieren. Gerard Horton sagt, Palästinenser die sich gegen die gegen sie vorgebrachten Anklagen verteidigen, würden im Endeffekt höhere Strafen erhalten.
Mohammad Khawaja war gerade 13 geworden, als er verhaftet wurde. “Sie haben mich am Kragen gepackt und aus dem Haus gezerrt. Je mehr ich weinte, desto mehr haben sie mir zugesetzt,” erzählt der Junge. “Meine Mutter schrie. Sie zogen mich über den Boden. Meine Knie bluteten. Sie schlugen mich mit ihren Gewehren und traten nach mir den ganzen Weg bis zum Jeep. Sie fesselten meine Hände und Füße, verbanden mir die Augen und ließen mich 24 Stunden dort ausharren. Ich dachte ich würde sterben. Später verlangten Vernehmungsbeamte von mir, dass ich andere Leute anschwärze. Ich wollte es nicht. Sie schlugen mich mit Plastikstühlen. Ich musste ein Dokument unterschreiben, das auf hebräisch verfasst war. Weder lese noch spreche ich hebräisch. Weil ich es unterzeichnet hatte sperrten sie mich ein.”
Das israelische Militär weist jegliche Anschuldigungen zurück, die Mißhandlung palästinensischer Jugendlicher sei Routine, doch man müsse ja auf der Hut sein vor palästinensischen Kindern, die in “Akte des Terrors” involviert seien.
Alpträume
Oberstleutnant Avital Leibowitz ist Sprecherin der israelischen Armee. “Auch wenn es nur ein Stein oder ein Molotov-Cocktail ist – es sind tödliche Waffen. Es spielt keine Rolle wer es getan hat – es sind tödliche Waffen,” sagt sie. “Wir erwischen fast jede Woche einen 14- oder 15-Jährigen mit einem Sprengstoffgürtel oder einer Granate an einem der Checkpoints. Wir leben in dieser Situation, und da wir uns verteidigen und diese Terroristen bestrafen müssen haben wir keine Wahl als sie zu finden und zu bestrafen – und zu hoffen dass es sich nicht wiederholt.”
Mohammad Khawaja hat nicht mehr richtig geschlafen seit die Soldaten gekommen sind. Er meint, die Alpträume wollten einfach nicht verschwinden.
Menschenrechtsgruppen appelieren an die internationale Gemeinschaft, die Vergehen Israels’ gegen Kinderrechte zu untersuchen.
Quelle: BBC