Seit dem 17. August bombardiert die türkische und iranische Armee fast pausenlos südkurdische Gebiete. Während das iranische Militär bis zum 5.09.11 auch Bodentruppen einsetzte stiegen aus der Türkei Kampfbomber auf und bombardierten v.a. Dörfer, Straßen, Herden, Weide- und Ackerbauflächen. Die Bevölkerung aus über 100 Dörfern wurde im letzten Monat vertrieben, etliche ZivilistInnen, darunter vier Kleinkinder getötet.
Der Journalist Yusuf Ziyad berichtete am 7. September gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur anschaulich von seinen aktuellen Beobachtungen aus dem Kriegsgebiet:
„Vorgestern bombardierte der Iran die Dörfer Derav, Jarya, Kolita, Litan und Berkim. Die Mutter von fünf Kindern Hêmîn Sidik starb dabei. In den Dörfern, welche vom Iran bombardiert worden sind, sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Die Häuser verlassen, die Dörfer geräumt, DorfbewohnerInnen, die in Panik die Region verlassen…
Nachdem ich die Nachricht erhalten habe, dass der Iran 12 Dörfer bombardiert begab ich mich in die Region, am Wegesrand standen zerstörte Wassertankwagen, zerstörte Stromleitungen, verlassene Häuser mit klaffenden Löchern in den Wänden, verlassene Dörfer und Menschen die die Region um ihr Leben fliehend verlassen.
Gestern in den Abendstunden wurden 12 Dörfer im Şêx Zade Tal bei Hewler von iranischen Artilleriebatterien unter Feuer genommen. Im Dorf Litan verlor die 32jährige Hêmîn Sidik, Mutter von 5 Kindern unter dem Artillerieangriff ihr Leben. Mikail Kadir, ein Hirte, der sein Vieh auf der Sinîne Weide grasen ließ wurde schwer verletzt, während seine Tiere getötet wurden.
Nach Information aus den Dörfern ist die Situation dort völlig verzweifelt. Ich rief einen Freund an, der sich in der Nähe von Sideka befand und erklärte ihm, dass ich die Region besuchen wollte. Mein Freund sagte: „Gerade ist es dort sehr gefährlich, denn sie schießen immer noch.“ Als ich darauf bestand akzeptierte er und ich begab mich auf den Weg dorthin.
Wenn man in die Region Sideka kommt, merkt man gleich, dass alles anders ist, dass man ein Kriegsgebiet betritt. Dieses Gefühl sieht man sowohl an der Furcht und dem Zweifel in den Gesichtern der Menschen, als auch an den hektischen Bemühungen mit jedem Auto das kommt die Region so schnell wie möglich zu verlassen.
An dem Militärcheckpoint in Richtung Sideka bemerkten wir, dass alle Fahrzeuge mit den Worten: „Es gibt Artilleriebombardement, sie schießen auf Dörfer und Siedlungsgebiete. Wohin sie als nächstes Treffen ist unklar. Falls ihr Besuch nicht unverzichtbar ist gehen Sie nicht dorthin“, gewarnt wurden.
Als wir ein wenig weiterfuhren sahen wir am Wegesrand eine Familie mit allen Kindern
ihrem gesamten Hausrat auf einem Haufen und ihren Tieren warten. Wir stiegen aus und sie erklärten uns, dass ihre Dörfer seit gestern Abend vom iranischen Militär bombardiert werden, sie deshalb geflohen seien und einige Dorfbewohner tot zurückgeblieben sind.
DIE MENSCHEN SIND WÜTEND AUF DIE SÜDKURDISCHE REGIONALREGIERUNG
Sie waren wütend, eine alte Frau erklärte: „Unsere Regierung stellt uns an die Front, sie selber leben in unserem Schatten. Wo ist diese Regierung und die Verantwortlichen?“Sie berichtet, dass ihre Kinder seit dem gestrigen Abend keinen Bissen essen konnten.
Die alte Frau berichtet, dass sie ihr Haus, ihre Gärten, ihre Tiere zurücklassen mussten und gerade so ihr Leben retten konnten: „Allein in diesem Jahr musste ich sieben Mal aus unserem Dorf fliehen. Und es geht so weiter.“ Weiter erklärt sie, dass sie wie viele Apelle sie auch an die kurdische Regionalregierung richteten diese nicht in der Lage sei eine entschlossene Haltung gegenüber dem Iran und der Türkei zu halten: „Wir Wir haben es selbst gesehen und einen Saddam, eine Türkei und einen Iran erlebt. Wann werden wir uns davon befreien.“
Als wir weiterfuhren sahen wir einige Familien, die am Flussufer gerade abgeladen hatten. Ich wollte auch sie besuchen, aber mein Freund sagte: „Lass uns zu den Dörfern gehen.“ Ein Stück weiter kam ein alter Mann auf uns zu der etwa zwanzig bis dreißig Kühe vor sich her trieb und sie so versuchte aus dem Gebiet heraus zu befördern. Ich hielt den Wagen an und versuchte mit dem Mann zu sprechen. Er kam aus dem Dorf Giseka welches vom Iran beschossen wird. Er konnte vor dem Bombardement nur seine Kühe retten, sein gesamter anderer materieller Besitz blieb im Dorf.
Ich frage ihn: „Gibt es nichts, was die südkurdische Regierung für Sie tut?“ Er wird wütend und antwortet „Was wird die Regierung für mich tun? In diesem Jahr wird mein Dorf nun zum fünften Mal vom türkischen und iranischen Staat bombardiert. Bis jetzt sind sie nicht einmal zu unserem Dorf gekommen und haben gefragt wie unsere Situation ist. Glauben Sie dass diese Regierung jetzt eine Lösung für uns finden wird. Uns hilft nur Gott. Iran und der türkische Staat seien verflucht. „Sie sollen uns erschießen, aber wir werden unsere von ihnen absichtlich zerstörten Häuser und Dörfer wieder aufbauen.“
VIELE FLIEHEN
Auf dem Weg sehe ich viele weitere fliehende Familien. Als wir zum größten Dorf des Şêx Zade Tals Jilê kommen sehen wir etwa 3000 Menschen auf dem Friedhof und am Straßenrand warten. Wir fragen was los ist und finden heraus, dass sie gerade auf die Leiche der Tags zuvor im Dorf Litan durch Artillerie getöteten Hêmin Sidik warten. Unter den Wartenden herrscht eine panische Stimmung. Denn das fünf Minuten entfernte Dorf Litan wird immer noch bombardiert und das Echo der Explosionen hallt durch das Tal. Die DorfbewohnerInnen erklären: „Das ist unsere Situation, unsere Frauen und Kinder schlafen nachts nicht mehr. Wenn ein Auto zu hören ist, denken Kinder Artillerie oder Flugzeuge sind wieder gekommen. Wir können weder in Ruhe essen noch schlafen. Selbst wenn wir uns in den Schatten setzen dröhnen unsere Ohren vom Lärm der von Oben kommt. Entweder Flugzeuge oder Artillerie kommen dann. Kann man das Leben nennen?“ Die Dorfbewohner richten ihre Worte an die kurdische Regionalregierung: „Kommt he rund lebt eine Stunde hier und ihr werdet unseren Kummer verstehen können.“
Sie kritisieren weiter, dass zu ihnen nur Journalisten kommen, Reportagen aufnehmen und wieder gehen, sie stehen alleine den iranischen und türkischen Flugzeugen gegenüber. Ein alter Dorfbewohner bewertet die Situation so: „Sie ziehen Kraft aus unserer schwäche weil wir uns als KurdInnen nicht einig sin, so können sie uns regieren.“
Als die Leiche kommt erleben wir eine große Empörung. Die weinenden Stimmen von Frauen, Männer und Kinder übertreffen sich. Einige Frauen und der Vater der Getöteten brechen zusammen. Von diesem Zeitpunkt verwandeln sich die Trauer und der Zweifel in den Mienen der Menschen in Wut und auch Hass. Niemand hört mehr die einschlagenden Granaten, die Wut und der Schmerz ist so groß, dass nicht einmal die Heranfliegenden türkischen Kriegsflugzeuge eine Reaktion erzeugen.
AUF DER FLUCHT VON BOMBERN ANGEGRIFFEN
Danach gingen wir zu denen aufgrund des Bombardements verlassenen Dörfern Derav, Jarya, Kolita, Litan und Berkim. Obwohl die Bevölkerung uns sagte, „Geht nicht, hier wird immer noch bombardiert“ sind wir gegangen. Das erste Dorf welches wir erreichten war Litan. Wir fanden dort nur noch die Ruine eines Dorfes vor. Fenster waren zerbrochen, Wände eingestürzt und einige Häuser waren direkt bombardiert worden. Wir haben gesehen, dass an einigen Häusern nicht einmal die Türen geschlossen worden sind und die Tiere immer noch draußen waren. An diesem Ort war die Frau getötet worden. Die Frau war auf der Flucht in etwa 15m Entfernung zu ihrem Haus getötet worden. Die Granate schlug einen Meter hinter ihr ein, ein Splitter traf sie im Kopf und sie brach zusammen. Wir konnten die Pantoffeln der Frau, ihr Kopftuch und daran Haftende Haare und Stücke der Kopfhaut entdecken. Am Ort an dem sie zusammengebrochen war fanden wir Blutspuren. Bei diesem Anblick erfasste mich ein Grausen. Die Frau hinterlässt fünf Kinder…
IN JEDER BEZIEHUNG EIN KRIEG
Nun brachen wir zu den anderen Dörfern auf. In fast allen fanden wir den gleichen Anblick. Es wurde immer noch mit Artillerie bombardiert. Die Bilder erinnern an die Kriege in Serbien und Bosnien Herzegowina. Das was ich heute gesehen habe, ist Folge des Krieges, verlassene Häuser mit offenen Türen und zerstörten Fenstern, Häuser in Ruinen verwandelt, Truthähne, Hühner, Esel Enten, Kühe und Schafe ohne Besitzer, kalte Öfen. Und pausenlos der Lärm der Bomben.“ (Yusuf Ziyad)
BOMBARDEMENT DAUERT AN, BODENOPERATION DROHT
Auch heute, den 8.09.11 setzt das türkische Militär sein Bombardement mit Artillerie und Bombern fort. Auch das Dorf Kortek, wo am 21. August türkische Kriegsflugzeuge 7 ZivilistInnen vier davon Kinder und Kleinkinder töteten wird weiter bombardiert. Auch hier flieht die Bevölkerung. Das türkische Militär scheint vor Allem zivile Stellungen anzugreifen um die Region zu entvölkern und so die Guerilla zu isolieren. Im Rahmen dieser Politik hat das türkische Militär in den 90erJahren schonüber 4000 kurdische Dörfer zerstört.
Quelle: Yusuf Ziad ANF, DIHA, YH