Verfahren gegen Daimler AG in Sachen des Todes von 14 Gewerkschaftern in Argentinien beginnt heute in San Francisco. Gaby Weber / Junge Welt vom 21.10.08
Seit dem heutigen Dienstag, neun Uhr pazifischer Zeit, wird im Courtroom No. 1 des Berufungsgerichts in San Francisco das Verfahren gegen die Daimler AG verhandelt. Es geht um die Morde an 14 Gewerkschaftern bei Mercedes Benz Argentina während der Diktatur (1976 bis 1983).
Das Verfahren könnte zu einem Präzedenzfall werden, der Menschenrechts- und Verbraucherverbänden aus aller Welt den Weg zu US-Gerichten ebnet, also dorthin, wo Geldstrafen und Entschädigungen zu erzielen sind, die den jeweils betroffenen Unternehmen weh tun – so weh, daß die US-Geschäftswelt, angeführt vom Justizministerium, der Handelskammer und dem American Petroleum Institute, seit dem Amtsantritt von George W. Bush eine massive Kampagne führt.
Wer ist zuständig?
Für sie besonders bedrohlich war, daß zunehmend Ausländer in den USA klagten und sich dabei auf das Alien Tort Claims Act (ATCA) stützten. Das Gesetz aus dem Jahr 1789 war ursprünglich gegen Piraten gerichtet, die in den karibischen Bananenrepubliken nicht verfolgt werden konnten. Ab 1980 war es von Menschenrechtsorganisationen wiederentdeckt und genutzt worden, um südamerikanische Folterer, die in ihren Ländern von Amnestien geschützt wurden, vor US-Gerichte zu bringen.
Auch die argentinischen Kläger stützen sich in dem Verfahren gegen Daimler auf das ATCA. Zunächst schien die Einreichung der Zivilklage wenig aussichtsreich. 2003 waren die Kläger gegen Chevron wegen der Verpestung des ecuadorianischen Regenwaldes abgewiesen worden; Ecuador selbst hätte das Verfahren durchführen müssen, weil dort die Ereignisse stattgefunden haben und dort die meisten Zeugen säßen, urteilten die Richter damals. Doch wurde im folgenden Jahr in einem anderen Verfahren das ATCA bestätigt, und die US-Anwälte Daniel Kovalik und Terry Collingworth, unterstützt vom International Labour Rights Fund, erhoben daraufhin Klage gegen Daimler. Sie klagen zudem gegen den Coca-Cola-Konzern wegen dessen Zusammenarbeit mit den kolumbianischen Paramilitärs.
Die Daimler AG wollte den Prozeß in San Francisco verhindern. Sie argumentierte damit, daß ein Verfahren, wenn überhaupt, in der Bundesrepublik Deutschland als dem Firmensitz oder in Argentinien, wo die Morde geschahen, stattfinden müßte. Dieses wäre nicht nur aus juristischen Gründen wenig sinnvoll. Auch spricht in Argentinien die zu erwartenden Geldstrafe für die insgesamt 14 Morde in Höhe von maximal 700000 Euro dagegen – eine Summe, die dem Konzern nicht wehtäte: Manageraussagen während des Prozesses zufolge stieg bei Mercedes Benz in Argentinien die Produktivität von 40 auf 100 Prozent. Die »Methode Mord« als Mittel zur Gewinnmaximierung würde bei einer »Strafe« dieser Höhe quasi bestätigt. Und in Deutschland hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe auf Antrag von Daimler die Zustellung der US-Klage an das Unternehmen in Untertürkheim ausgesetzt.
Am heutigen Eröffnungstag der Verhandlungen in San Francisco wird lediglich über die geographische Zuständigkeit des Gerichts in diesem Fall verhandelt werden. Sollte diese bejaht werden, wird das Verfahren gegen Daimler offiziell eröffnet. Erst dann werden Zeugen gehört, Beweise gesichtet werden. Doch fest steht schon jetzt, daß es den Anwälten nicht an Beweisen für die Zusammenarbeit von Mercedes Benz Argentina mit den Militärs mangelt. So hatte der Zeuge Hector Ratto gehört, wie der Produktionschef Juan Ronaldo Tasselkraut die Adresse eines Kollegen an die Polizei weitergab. In derselben Nacht wurde der Kollege verschleppt. Ratto sah ihn im Folterzentrum wieder, danach fehlt von dem Betroffenen jede Spur. Zudem hatte die Firma ihren Betriebsrat Esteban Reimer dem Geheimdienst gegenüber als »Aktivisten« denunziert – ein gutachterlich festgestellter Vorgang. Reimer wurde verschleppt und ermordet.
Versprechen ohne Folgen
Seit nunmehr fast zehn Jahren versuchten die Kläger in Deutschland und Argentinien, die Schuldigen vor Gericht zu bringen. Zahlreiche Strafverfahren waren und sind in dieser Sache anhängig. Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg ermittelte ab 1999, stellte nach vier Jahren das Verfahren mit der Begründung ein, es sei nicht bewiesen, daß die Verschwundenen wirklich ermordet wurden – und nicht eines Tages wieder auftauchten.
In Argentinien zeichnete sich nach dem Amtsantritt von Nestor Kirchner in Jahr 2003 eine Wende ab. Die Täter mußten nunmehr fürchten, doch noch zur Rechenschaft gezogen zu werden, als die Amnestiegesetze für ungültig erklärt wurden; und die Verfahren gegen die Folterer wieder aufgenommen werden sollten – darunter auch die Ermittlungen gegen die uniformierten und zivilen Verantwortlichen für das Verschwindenlassen der 14 Mercedes-Betriebsräte. Kirchner empfing die Witwen feierlich und versprach die Einrichtung einer Untersuchungskommission. Dazu kam es nicht. Die Staatsanwaltschaft in Buenos Aires behauptete, sie habe nur allgemeine, die Firma betreffende Beweise gefunden, aber nichts Konkretes gegen die Manager. Das Verfahren wurde in die Provinz abgeschoben.
Unterliegen die Kläger in San Francisco, steht ihnen der Weg zu einem Gerichtshof in einem anderen US-Bundesstaat offen. Die Anwälte rechnen mit einem Urteil in drei bis sechs Monaten.