Am 08. Oktober 2008 ist Engin Ceber, der am 28. September 2008 während der Verteilung der Zeitschrift „Yürüyüs“ (Der Marsch) von Polizisten unter massivster Gewaltanwendung festgenommen und nach seiner Verhaftung in das Istanbuler Metris Gefängnis verlegt worden war, aufgrund einer Gehirnblutung verstorben. Laut Information seiner AnwältInnen sei Engin Ceber seit seiner Festnahme durchgehend von Polizisten und Wärtern verprügelt und gefoltert worden.
Die HHB erklärte: „(…) Unser Klient, der während einer vollkommen legalen Presseerklärung festgenommen wurde, war sowohl während seines Gewahrsams als auch im Geschlossenen Metris T2 Gefängnis nach seiner Verhaftung der Folter ausgesetzt gewesen. Ein Anwalt unseres Büros, der ihn am 06.10.2008 besuchte, erklärte dass unser Klient sowohl am Eingangsbereich durch die Soldaten als auch durch die Wärter in seiner Zelle gefoltert worden sei. Der Anwalt unseres Büros hat Folterspuren bei unserem Klienten beobachtet. Am 07.10.2008 wurde zwecks Entsendung einer Delegation bezüglich der Folter ein schriftlicher Antrag an die Istanbuler Ärztekammer gestellt.
Auch die Istanbul-Filiale der CHD (Fortschrittlicher JuristInnenverband) wurde zur Inspektion des Gefängnisses ein schriftlicher Antrag eingereicht. Der fünfköpfigen Delegation, die sich daraufhin am 08.10.2008 zum Metris T2 Gefängnis begab, wurde mitgeteilt, dass der Klient Engin Ceber am selbigen Tag verstorben sei. (…)“
Repression vs „Yürüyüs“
Engin Ceber war ein Mitarbeiter und Verteiler der politischen Wochenzeitschrift „Yürüyüs“ (Der Marsch), welche in der Türkei erscheint. Am Tag seiner Festnahme (28.09.2008) beteiligte er sich an einer Presseerklärung, bei dem die „Bestrafung der verantwortlichen Polizisten“ gefordert wurde, die den 16-jährigen Ferhat Gercek angeschossen hatten. Engin Ceber wurde an jenem Tag unter massivster Gewaltanwendung mit drei weiteren Personen (Özgür Karakaya, Aysu Baykal, Cihan Gün) festgenommen.
Auch Ferhat Gercek, wegen dem die Presseerklärung verlesen wurde, war der Polizeigewalt ausgesetzt gewesen, als er letztes Jahr die Zeitschrift „Yürüyüs“ austrug. Polizisten schossen ihm während seiner Arbeit in den Rücken. Er ist nun querschnittsgelähmt. Beim Ferhat Gercek-Prozess verlangt die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft für Ferhat Gercek und 9 Jahre für den Polizisten, der ihn anschoss.
Die Verteilung der Zeitschrift, die wöchentlich landesweit stattfindet, wird durchgehend von Repression und Polizeigewalt begleitet. Es kommt wöchentlich zu Festnahmen und anschließender Folter an den Mitarbeitern der Zeitschrift.
Bereits seit mehreren Monaten ist die Zeitschrift wieder mit wöchentlichen Konfiszierungen und Verboten konfrontiert. Auf der Webpräsenz der Zeitschrift (www.yuruyus.com) tauchen nun seit einigen Monaten Zeitschriften unter anderen Namen auf, um die zumeist einmonatigen Verbote zu umgehen. Zuletzt erschien drei Wochen lang die Zeitschrift „Yeni Kurtulus“ (Neue Befreiung). Aktuell – nach Ende des letzten einmonatigen Verbots – und mit dem Erscheinen einer weiteren Ausgabe unter dem Namen „Yürüyüs“ erreichte erneut eine Presseerklärung die Öffentlichkeit, in der die Redaktion der Zeitschrift erneut erklärte, dass ein weiteres Verbot ausgesprochen worden sei.
Hierzu laut Erklärung die Verbote gegen die Publikationen:
„Emperyalizme ve Oligarşiye Karşı Yürüyüş [Marsch gegen Imperialismus und Oligarchie]: Ein Monat Erscheinungsverbot und Konfiszierung.
Halk Gerçeği [Volksrealität]: Ein Monat Erscheinungsverbot und Konfiszierung.
Yeni Kurtuluş [Neue Befreiung]): Konfiszierung der Ausgaben 1, 2 und 3.
Dabei hieß es: „Das 14. Schwurgericht von Istanbul entschied, die 162. Ausgabe der Zeitschrift „Bağımsızlık Demokrasi Sosyalizm İçin YÜRÜYÜŞ“ (Marsch für Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus) vom 5. Oktober 2008 zu konfiszieren, ein einmonatiges Erscheinungsverbot zu verhängen und den Zugang zur Webseite www.yuruyus.com aus der Türkei ein Monat lang einzustellen.“
In ihrer Erklärung interpretierte die Redaktion die aktuelle Repression mit den Worten „(…) wir haben niemals Verbrechen begangen und das Verbrechen gelobt, denn wir haben niemals die Lügen der Oligarchie verbreitet, diese applaudiert. Es ist eindeutig, dass die Oligarchie die Verbrecherin ist; nicht das Volk und die Aktionen des Volkes. Sowohl der Terror, als auch das Verbrechen sind die Angriffe der Oligarchie gegen das Volk. Es ist die Polizei, die unsere Jugend auf offener Straße erschießt. Es ist die Regierung, die mit Verteuerungen das Volk der Armut und dem Elend überlässt. Es ist der Ausverkauf des Landes an den Imperialismus. Es ist die Umwandlung der Türkei in ein blutiges Polizeirevier des Imperialismus. Aus diesem Grund erzählen unsere Seiten davon. Sie erzählen dem Volk die Wahrheit und davon, wie sich diese Ordnung verändern kann; wie sich das Volk von Ausbeutung und Unterdrückung befreien kann. (…)“
Reaktionen auf die Ermordung von Ceber
Die Familien der Angehörigenorganisation TAYAD versammelten sich am 08. Oktober 2008, nachdem die Delegation des CHD den Tod Cebers festgestellt hatte, vor dem Sisli-Eftal-Krankenhaus, um den Leichnam abzuholen. Die Familien verkündeten den Foltertod mit einer Presseerklärung vor dem Krankenhaus und forderten die „Bestrafung der Mörder“.
Landesweit begannen Protestdemos und -kundgebungen, die zum Teil von Polizeikräften massivst angegriffen wurden. Insbesondere in Istanbul kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Gleichzeitig wurden zahlreiche Protesterklärungen veröffentlicht, in denen gesagt wurde, dass Ceber gesund festgenommen worden sei und nach nur wenigen Tagen sein Leichnam das Gefängnis verlassen habe.