Trotz der massiven Repression durch Polizei und Militär setzen Zehntausende Angehörige indigener Gemeinden in Kolumbien ihre Proteste gegen die Regierung des Präsidenten Álvaro Uribe fort. Neben der Ablehnung eines zwischen Bogotá und der US-Administration in Washington ausgehandelten Freihandelsabkommens, das derzeit im US-Kongress auf seine Ratifizierung wartet, richten sich die Demonstrationen und Straßenblockaden vor allem gegen die Vertreibung der verschiedenen indigenen Ethnien aus ihren angestammten Siedlungsgebieten. Die Demonstranten fordern von der Regierung die Rückgabe der Ländereien, die sie als ihr ureigenes Eigentum betrachten, und einen besseren Schutz vor den Übergriffen der Großgrundbesitzer und Paramilitärs. Angaben der Nationalen Organisation der Indígenas Kolumbiens (ONIC) sind allein in den vergangenen sechs Jahren 1253 Indígenas im ganzen Land ermordet und mindestens 54.000 Menschen von ihrem Grund und Boden vertrieben worden.
Für die Regierung sind die Demonstranten „Terroristen“, die in Verbindung zur Guerrilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) stehen. Bogotá hat deshalb Kopfgelder auf mutmaßliche Anführer der Proteste ausgesetzt und die militärische Besetzung der Zentren der Proteste angeordnet. Zugleich hat Präsident Uribe den sofortigen Aufkauf von rund 3000 Hektar Grund und Boden in der Provinz Cauca angeordnet, um ihn den indigenen Gemeinden als Reservat zu übergeben. Seinen Erklärungen zufolge handelt es sich dabei um den letzten Rest von insgesamt 15.000 Hektar, deren Übergabe den Indígenas bereits vor Jahren zugesichert worden war und von denen der Staat bereits mehr als 11.000 Hektar erworben habe.
Für die ONIC ist dies jedoch kein Lösung. „Unsere Forderungen sind umfassender und beginnen beim Respekt für unsere Völker und der Wiederherstellung unseres guten Namens“, erklärte ONIC-Vertreter Luís Evelis Andrade. „Wir sind keine Terroristen, sondern wir wurden von allen bewaffneten Gruppen bedroht und haben allen Widerstand geleistet, auch der Guerrilla.“ Er machte Uribe für alles verantwortlich, was den Indígenas und ihrer Vertretern angetan werden könne, denn die vom Präsidenten konstruierte Verbindung zwischen den Demonstranten und der Guerrilla habe sie „zum Tode verurteilt“. Tatsächlich richten sich Übergriffe paramilitärischer Banden, aber auch offizieller Staatsorgane, immer wieder gezielt gegen Oppositionelle, denen Verbindungen zur Guerrilla nachgesagt wird, darunter vor allem Gewerkschafter, Angehörige von Menschenrechtsgruppen und Mitglieder linker Organisationen.
Das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten in Cauca und anderen Regionen hat bislang lateinamerikanischen Medienberichten zufolge etwa drei Menschenleben gefordert, indigene Organisationen sprechen sogar von bis zu zehn Toten und warfen der Regierung in Bogotá „Völkermord“ vor. So wurden allein am Freitag im Bezirk Piendamó, etwa 600 Kilometer südwestlich von Bogotá, neun Menschen verletzt, als die Polizei mit Einheiten zur Aufstandsbekämpfung versuchte, die dort noch immer von rund 10.000 Menschen errichteten Straßenblockaden aufzulösen.
Die Protestwelle hatte am vergangenen 12. Oktober begonnen, dem Jahrestag der Landung von Christoph Kolumbus in Amerika, der von den Indígenas des gesamten Kontinents als Beginn ihrer Unterdrückung und Ausrottung begangen wird. Erhebungen zufolge gehören 1,35 Millionen der 42 Millionen Menschen in Kolumbien einer von 102 indigenen Ethnien an. 6000 Menschen gehören Völkern an, die aufgrund ihrer Vertreibung durch Großgrundbesitzer und internationale Großkonzerne unmittelbar vom Verschwinden bedroht sind.