Wachsende Kritik an der Politik [Provisional] Sinn Féins. Prominente Mitglieder verlassen die Partei
Samuel Stuhlpfarrer
Zu ihrem Austritt aus der irischen Linkspartei [Provisional] Sinn Féin bemerkte Louise Minihan: »Jahrelang habe ich meine Sorge um den Kurs der Partei innerhalb Sinn Feíns geäußert. Wie Tausende Republikaner vor mir bin ich nun zum Schluß gekommen, daß der Kampf um das Herz von Sinn Feín verloren ist.« Der Bruch mit ihrer republikanischen Organisation war der Stadtverordneten in Dublin, ein ehemaliges Mitglied des Parteivorstands, Ende Juli ganz offensichtich schwergefallen, obwohl vorher bereits einige andere Sinn Feín-Aktivisten die Organisation verlassen hatten. Unter ihnen befanden sich mit John Dwyer und Christy Burke langgediente Stadtverordnete aus Wexford und Dublin.
Ein Grund für die jüngsten Turbulenzen war das mäßige Abschneiden [Provisional] Sinn Féins bei den EU-Wahlen im Mai. Entgegen den Erwartungen konnte [Provisional]SF-Vizepräsidentin Mary Lou MacDonald ihren Sitz nicht verteidigen. Statt ihrer errang der Trotzkist Joe Higgins von der Socialist Party das dritte Mandat im Wahlkreis Dublin. MacDonalds Einbruch setzte eine Debatte um den Kurs der Partei in Gang. Zu konziliant gegenüber der herrschenden Klasse, zu weit entfernt von der republikanischen Basis und ohne jedes Konzept für ein vereintes Irland, so lauten die häufigsten Kritikpunkte an der Parteispitze um Gerry Adams. Louise Minihan etwa, [Provisional]SF-Stadtverordnete von Kerry Toireasa Ferris Davon, meinte, daß [Provisional] Sinn Féin weder willens ist, »die britische Besatzung der sechs Grafschaften (Nordirlands) noch das verrottete kapitalistische System, das soviel Elend für Arbeiterfamilien in ganz Irland verursacht, zu bekämpfen«.
Tatsächlich steckt die Partei, die als einzige auf der grünen Insel im Norden wie im Süden parlamentarisch vertreten ist, in der Klemme. I[m Süden Irlands], die in besonderem Maße unter der Krise leidet, haben kleinere Linksparteien mit einem strikt antikapitalistischen Kurs zuletzt weitaus glaubwürdigere Positionen eingenommen. Die [Provisional] SF-Forderung nach Konjunkturpaketen greift hier angesichts der Verdopplung von Massensteuern kaum. Und im Norden zeitigt die Beteiligung an der Regierung mit der bürgerlich-loyalistischen Democratic Unionist Party kaum nennenswerte Fortschritte. Die durch das [Belfaster-Abkommen] von 1998 bestimmte »Machtteilung« führt zu zunehmendem Frust an der republikanischen Basis.
Der entlud sich zuletzt mehrfach: Mitte Juli beispielsweise in Nord-Belfast aus Anlaß eines genehmigten Marsches des unionistischen Oranier-Ordens durch die katholischen Viertel Ardoyne, Mountainview und Dales. Hunderte Jugendliche lieferten sich dabei über drei Nächte Straßenschlachten mit der Polizei (jW berichtete). Gerry Kelly, Staatssekretär und [Provisional]SF-Abgeordneter zum Stormont, dem nordirischen Parlament, machte die [republikanischen Gruppen] Real IRA und Continuity IRA für die Unruhen verantwortlich und appellierte an die Geduld der republikanischen Gemeinschaft.
Trotzdem kritisierten nicht nur die linksrepublikanischen Organisationen den Kurs von [Provisional] Sinn Féin scharf. Der prominente Republikaner Mairtin Og Meehan etwa, der 1998 noch zu den Befürwortern des Friedensprozesses zählte, ging jüngst mit der Politik [Provisional] Sinn Féins hart ins Gericht. »In bezug auf Arbeitsplätze und Wohnraum haben wir überhaupt keine Verbesserungen gesehen.« Meehan: »Die Leute haben sich nach dem Karfreitagsabkommen Verbesserungen erwartet – ich habe das jedenfalls. Aber die Friedensdividende ist ausgeblieben, und Sinn Feín kann nicht erklären, warum.«
(jw)