Nepal: Maoisten rufen Generalstreik aus. Tote nach Einsatz der Polizei

Junge Welt 08.12.2009 Auf der Seite der Rechtlosen


Nepal: Maoisten rufen Generalstreik aus. Tote nach Einsatz der Polizei

Von Hilmar König, Neu-Delhi

Der Generalstreik vom Sonntag in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu und in anderen Städten des Landes war kurzfristig anberaumt worden und gehörte nicht zur eigentlichen Protestkampagne, die die Maoisten den ganzen Dezember hindurch vorgesehen haben. Was war passiert? Am Freitag und Samstag voriger Woche hatte die Polizei in der Nähe der Siedlung Baliya im Waldgebiet Dudhejori im westlichen Kailali-Distrikt mit brutaler Härte versucht, den Widerstand von »illegalen« Siedlern zu brechen. Die Ordnungshüter waren mit mehreren Kommandos angerückt und begannen, rund 2500 ärmliche Hütten zu zerstören. Die Menschen wehrten sich dagegen. Es gab sechs Tote, darunter angeblich auch ein Polizist, und mehr als 50 Verletzte.
Die Maoisten standen und stehen auf seiten der Rechtlosen und unterstützten die Obdachlosen, die sich in einem Waldstück ein bescheidenes Zuhause eingerichtet hatten. Baburam Bhattarai, der Vizevorsitzende der Vereinten KP Nepals (Maoistisch) verurteilte den Polizeieinsatz und sprach von »exzessiver Gewaltanwendung«. Die Verjagten drohten damit, am Montag das Waldstück von 5 000 Menschen besetzen zu lassen, wenn die Behörden die getöteten Siedler nicht zu Märtyrern erklären, deren Familien eine Entschädigung zahlen und sich um die Behandlung der Verletzten kümmern.
Das Problem ist offensichtlich noch längst nicht aus der Welt, zumal die VKPN (M) es nicht als lokales Ereignis behandelte, sondern zum landesweiten Generalstreik aufrief. Am Sonntag waren Geschäfte und Märkte geschlossen, vereinzelt brannten Autoreifen, flogen Steine, gingen Fahrzeuge, deren Fahrer sich nicht am Streik beteiligt hatten, in Flammen auf, auch Touristenbusse wurden gestoppt. Dennoch gelangte Ex-König Gyanendra zum Flughafen, um eine mehrwöchige Reise nach Indien anzutreten. Innenminister Bhim Rawal nahm seine Polizisten in Schutz und klagte die Maoisten an, den Widerstand in Dudhejori inszeniert zu haben. Über die Lösung des sozialen Problems verlor er hingegen kein Wort.
Am Montag traf sich der Vorsitzende des Verfassungskonvents (Parlaments), Subhash Nemwang mit Premier Madhav Kumar Nepal, Pushpa Kamal Dahal Prachanda, dem Chef der maoistischen Partei, und dem Fraktionschef des Nepali Congress, Ram Chandra Poudel. Es ging um die aktuelle Lage, um die schon seit Monaten bestehende tiefe politische Krise und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die eigentlich im Mai 2010 vorliegen soll. Das allerdings ist inzwischen ein illusorischer Termin, denn die Uneinigkeit zwischen den Hauptparteien und der Parlamentsboykott der Maoisten haben bisher verhindert, daß die verschiedenen Kommissionen, die am Verfassungsdokument mitwirken sollen, überhaupt mit ihrer Arbeit begonnen haben. Prachanda hat die Treffen des Konstitutionellen Rates schon viermal boykottiert.
Zur politischen Entwicklung äußerte der unabhängige Parlamentsabgeordnete Hari Roka: »Was wir hier erleben, ist erstaunlich. Die Maoisten haben Nepals gewaltige Umwälzung bewirkt. Sie haben die Nomenklatur des Staates verändert, sind in den Palast gestürmt und haben den unpopulären König verjagt. Aber dann wurden auch sie vertrieben. Es ist, als ob sie bis dorthin gelangen konnten und nicht weiter. Sie wurden des Mandats beraubt, das ihnen das Volk gegeben hatte. Deshalb wird es Konsequenzen geben. Je mehr man die Maoisten abblockt, desto stärker werden sie. Und was wir jetzt sehen, ist wohl der Anfang solcher Konsequenzen, eine Periode von Anarchie im Gefolge einer historischen Umwälzung.«

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