Der Prozess gegen das „Gefangenen Info“ setzt sich vor dem Landgericht Berlin-Tiergarten fort. Wolfgang Lettow, presserechtlich Verantwortlicher für das „Gefangenen Info“, wurde am 21. April dieses Jahres wegen einer Verleumdungsklage zu 800 € Geldstrafe verurteilt. Hintergrund des Verfahrens war ein Prozessbericht der Roten Hilfe OG Düsseldorf/Mönchengladbach/Neuss über den § 129b-Prozess in Düsseldorf gegen Faruk Ereren, den wir in unserer Ausgabe 348 abdruckten.
Thematisiert wurde die Verhängung der Beugehaft gegen den in türkischer Folterhaft erblindeten Zeugen Nuri Eryüksel. Er machte zu Fragen, die seine eigene Person betrafen, keine Angaben, da er befürchten musste, dadurch selbst kriminalisiert zu werden. Der Vorsitzende Richter Klein verhängte dann zur Aussageerpressung noch im Gerichtssaal die Beugehaft, die im übrigen 4 Wochen später vom BGH als rechtswidrig aufgehoben wurde. Die ProzessbeobachterInnen der Roten Hilfe OG Düsseldorf/Mönchengladbach/Neuss schrieben in ihrem Bericht dem Richter nach der Verkündung der Beugehaft eine Bemerkung zu, die von vielen Ohrenzeugen als zynisch empfunden wurde. In dem Prozessbericht wurde er mit den Worten „für Nuri sei die Beugehaft wohl ein wirksames Mittel, um sich zu besinnen, denn er sei ja erblindet“ zitiert und das „Gefangenen Info“ erhielt deswegen die Anklage wegen Verleumdung. Wegen des gleichen Artikels kommt es gegen die Betreiberin der Homepage „Scharf-Links“ nach einem Freispruch zu einem neuen Verfahren. Wir denken nicht, dass sich die ProzessbeobachterInnen die zynische Bemerkung ausgedacht hätten und halten die Artikel der Roten Hilfe OG Düsseldorf/Mönchengladbach/Neuss für vertrauenswürdig. Wolfgang Lettow wurde im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten unterstellt, er habe bewusst etwas Falsches über den Richter verbreitet. Mit dieser Argumentation soll die Glaubwürdigkeit unseres Blattes herab gewürdigt werden und uns aufgezeigt werden, dass wir uns hüten sollen, zynische Bemerkungen von Richtern zu zitieren. Zweifelsfrei feststellen lässt sich tatsächlich nicht, was gesagt wurde. Wie bei den vielen Verfahren, bei den Polizisten beteiligt sind, gilt auch insbesondere bei Verfahren über Richter, welche die Rechtsprechung ja personifizieren sollen, dass das, was es in einem sogenannten Rechtsstaat nicht geben darf, in den Augen der Justiz auch nicht geben kann. Wir werden weiterhin kritisch berichten.
Warum wird das „Gefangenen Info“ kriminalisiert?
Neben der redaktionellen Arbeit musste die Existenz und damit das Fortbestehen des „Gefangenen Info“ auch immer vor den Gerichten verteidigt werden, um damit vor allem das Leben der Gefangenen vor staatlichen Übergriffen hinter Gittern zu schützen. Der Staat versuchte seit 1989, also seit Bestehen dieser Zeitschrift, unter der Federführung der Bundesanwaltschaft und den Geheimdiensten durch rund 30 Verfahren, das „Gefangenen Info“ mundtot zu machen. Von den 30 Ermittlungsverfahren endeten mindestens vier im Gerichtssaal vor der Klassenjustiz, die teilweise durch mehrere Instanzen gingen. Verurteilt wurden mindestens zwei RedakteurInnen. Im „Gefangenen Info“ wurde und wird das staatliche Vorgehen gegen Gefangene kritisiert. Anlässe von Verfahren waren u. a. Artikel, die die staatliche Version z. B. der Selbstmorde in Stuttgart-Stammheim am 18.10.1977 oder die Erschießung von Wolfgang Grams am 27.6.1993 in Bad Kleinen thematisierten und hinterfragten.
Im aktuellen Verfahren steht die Klage gegen das „Gefangenen Info“ in direktem Zusammenhang mit den laufenden § 129b-Prozessen. Hier in der BRD sind ca. zehn kurdische und türkische Gefangene wegen ihrer politischen Arbeit verhaftet und in Isolationshaft. Der § 129b-Gefangene Faruk Ereren bezeichnet das umfassende Isolationsprogramm als „Weiße Folter mit dem Ziel, uns zu zermürben“. Faruk Ereren, der sich auf eine Kooperation mit dem Gericht nicht einlässt, wird deshalb mit der Androhung der Abschiebung in die Türkei erpresst.
All das hat Ähnlichkeit mit den drakonischen Maßnahmen, denen die Gefangenen aus der RAF vor allem in den siebziger und achtziger Jahren ausgesetzt waren. Die Anklagen gegen die anatolischen AktivistInnen basieren häufig auf Foltergeständnissen aus der Türkei. Die Staatsschutzsenate in Stuttgart und Düsseldorf haben durchweg keine Probleme, „Früchte vom vergifteten Baum“, wie es der stellvertretenden Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum ausdrückte, zu verwerten.
Die länderübergreifende Verfolgung politischer Oppositioneller aus der Türkei dient nicht nur den Interessen des türkischen Staates, sondern sie dient in erster Linie den Interessen der internationalen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den EU-Staaten sowie den USA. Die Türkei ist aufgrund ihrer strategischen Lage ein wichtiger Partner für das expansive NATO-Bündnis. Auf militärischer Ebene lässt sich das gut anhand der Tatsache aufzeigen, dass die Türkei der größte Waffenabnehmer der BRD ist.
Von 2000 bis 2007 wehrten sich tausende türkische und kurdische Gefangene in Hungerstreiks gegen die neuen Isolationsgefängnisse nach dem Muster des Stammheimer Gefängnismodells, bei dem über 120 politische Gefangene ums Leben kamen. Diese Gefängnisse wurden 2000 als EU-Auflage in der Türkei eröffnet. Während des Hungerstreiks verlangte die Türkei von ihren Verbündeten das Verbot der Öffentlichkeitsarbeit linker türkischer Organisationen in Europa. Zusätzlich verlangt die Türkei die Auslieferung von zirka 300 kurdischen und türkischen AktivistInnen. In den laufenden § 129b-Prozessen in Düsseldorf geht es um dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der marxistisch-leninistischen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) aus der Türkei. Dabei werden hierzulande v. a. das Sammeln von Spenden und die Verbreitung von in der BRD legalen Publikationen kriminalisiert.
Nein zur Kriminalisierung linker Medien!
Wir sehen es als notwendig an, gegen die Kriminalisierung linker Medien möglichst geschlossen vorzugehen. So richtet sich unser Protest nicht allein gegen die Kriminalisierung des „Gefangenen Info“, sondern auch gegen die Razzien in linken Buch- und Infoläden. Verschiedene linke Berliner und Münchner Buch- und Infoläden waren in letzter Zeit von Repressalien betroffen, bei denen die Zeitschriften „radikal“ und „Interim“ beschlagnahmt wurden. Dem Berliner Buchladen „Schwarze Risse“ drohen Anzeigen wegen „Anleitung zu Straftaten“ und „Verstoß gegen das Waffengesetz“. Verteidigen wir uns gegen die staatlichen Angriffe auf unsere Infrastruktur und unsere Medien! Auch im Berufungsprozess gegen das „Gefangenen Info“ werden wir uns nicht einschüchtern lassen und mobilisieren zu einer Prozessdelegation!
Solidarität ist eine Waffe!
Info-Veranstaltung:
zum Prozess gegen das „Gefangenen Info“ und der Kriminalisierung linker Buchläden in Berlin
Dienstag, 5. Oktober um 18.00 Uhr
Im Clash (Mehringhof)
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Prozessdelegation:
Montag, 11. Oktober um 13.30 Uhr
Landgericht Berlin-Tiergarten (Raum 731)
Turmstr. 91, 10559 Berlin
Gefangenen Info
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen
Rote Hilfe OG Berlin