Spanien: Aufstand der Empörten

Trotz Versammlungsverbot: Überall in Spanien besetzen Zehntausende Menschen die zentralen Plätze der Städte
von Florian Osuch, Barcelona

Dem spanischen Staat steht ein heißes Wochenende bevor. Neben zahlreichen Kommunal- und Regionalwahlen wird für Samstag der vorläufige Höhepunkt einer inzwischen weltweit beachteten Protestbewegung erwartet. Diese hat längst das ganze Land erfaßt. Trotz verhängter Versammlungsverbote wurden in rund 80 Städten Protestcamps errichtet. Im Fokus stehen insbesondere die seit mehreren Tagen bestehenden Zeltlager an der Puerta del Sol in Madrid und auf der Plaça Catalunya in Barcelona. Demonstriert wird jedoch in allen Regionen des spanischen Staatsgebietes, vom Baskenland bis nach Andalusien, von Galizien bis ins abgelegene Extremadura, und auch auf den Ferieninseln Mallorca, Ibiza und den Kanaren.
Verbot ab Mitternacht
Das von den Richtern der Junta Electoral Central, der zentralen Wahlbehörde in Madrid, verhängte allgemeine Versammlungsverbot hat zumindest in Barcelona am Freitag die Proteste weiter verstärkt. »Das Verbot gilt ab Samstag morgen um null Uhr. Deshalb ist es wichtig, daß wir am Abend ganz viele sind«, äußerte eine junge Frau am Freitag gegenüber junge Welt. Erneut fanden am Abend wieder landesweit Caceroladas statt, das gemeinsame lautstarke Krachmachen mit Kochlöffeln und Topfdeckeln. Das mit Verzögerung einsetzende weltweite Medienecho sorgte für weitere Motivation der Protestierenden, die sich insbesondere gegen die nach ihrer Ansicht korrupte politische Klasse richten. »Ihr vertretet uns nicht«, ist der allgegenwärtige Slogan. Gemeint sind vor allem die beiden Großparteien, die sozialdemokratische PSOE, die mit José Luis Zapatero seit mehreren Jahren den Ministerpräsidenten stellt, und die rechte PP. Dieses durch das Wahlrecht zementierte faktische Zweiparteiensystem wird von den Demonstranten als undemokratisch empfunden. Ohnehin wird die etablierte Politik allgemein als korrupt empfunden. »Egal was du wählst, sie verarschen dich genauso«, stand etwa am Freitag auf einem Transparent in Madrid. Doch längst sind auf Plakaten und Transparenten auch Slogans gegen die großen Gewerkschaftsverbände CC.OO und UGT aufgetaucht, die als Anhängsel der herrschenden Klasse wahrgenommen werden. Kritisiert und verulkt werden auch die Medienanstalten, die meist am Tropf multinationaler Konzerne hängen, sowie Banker und Spekulanten.

Die Empörung richtet sich auch gegen die undurchsichtigen Verfilzungen von Politik, Banken, Finanz- und Immobilienwirtschaft sowie der Bauindustrie. Es ist nicht ungewöhnlich, daß Politiker auch Inhaber oder Teilhaber von Banken, Immobilien- oder Baukonzernen sind und sich den Zuschlag für lukrative Bau- und Prestigeprojekte selbst geben. Daher lautet eine der Hauptforderungen der Protestierenden, bei der Wahl am Sonntag keine Liste zu unterstützen, auf denen Kandidaten zu finden sind, gegen die wegen Korruption ermittelt wird. Dies ist Medienberichten zufolge jedoch bei über 260 Kandidaten der PP, der PSOE sowie kleinerer Parteien der Fall.

Von zahlreichen bürgerlichen Medien zunächst als »Antisistemas«, als radikale Systemgegner, diskreditiert, wurde im Lauf der Woche deutlich, daß sich auf den Plätzen Personen allen Alters und aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten treffen. Entgegen der Berichterstattung einiger auch deutscher Medien sind es nicht vor allem »exzellent ausgebildete Kinder des Bürgertums«, wie etwa die Süddeutsche Zeitung schrieb. Die Bewegung besteht vielmehr aus Erwerbslosen, Rentnern Studierenden, Schülern sowie Männern und Frauen, die um ihre Jobs fürchten. »Es kommen auch auffällig viele Ruheständler gemeinsam mit ihren Söhnen und Töchtern oder Enkeln«, stellte ein junger Mann auf dem Plaça Catalunya in Barcelona fest, der gerade ein Plakat aufhängte.
Euphorische Stimmung
Unter den Aktiven herrscht eine euphorische Stimmung. Die Unterstützung ist groß. Die großen Camps sind inzwischen auch recht gut in basisdemokratischen Strukturen organisiert. Es gibt Arbeitsgruppen, die sich um die Organisation, Verpflegung oder Kultur kümmern. Mitmachen kann jeder. In Barcelona wurden Grundsatzfragen zuletzt in nächtlichen Großplena mit bis zu 2000 Beteiligten diskutiert. Eine langjährige Aktivistin der autonomen Szene in der katalanischen Hauptstadt sagte gegenüber jW, es seien viele Leute dabei, die bisher noch keine Berührungspunkte mit Politik gehabt hätten, sich nun jedoch engagieren.

Die spanische Bevölkerung ist in besonderer Weise von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen, insbesondere nachdem der Immobilienmarkt kollabierte. Die Arbeitslosigkeit hat offiziellen Angaben zufolge mit 21,3 Prozent den höchsten Stand seit 35 Jahren erreicht, rund fünf Millionen Menschen sind von ihr betroffen. Ein besonders dramatisches Ausmaß hat jedoch die Jugendarbeitslosigkeit angenommen, die nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik bei den bis 25 Jahre alten Menschen bei über 40 Prozent liegt. In zahlreichen Arbeitervororten von Madrid, Sevilla oder Barcelona liegen die Zahlen sogar noch darüber.

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