Massaker in Tripolis

Bei ihrem Sturm auf die libysche Hauptstadt Tripolis haben die Aufständischen offenbar willkürlich wehrlose Gegner hingerichtet.

Ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Donnerstag von 30 Leichen, die in einem Feldlager in Tripolis gefunden worden seien. Die Körper der Männer, die wahrscheinlich zu den Truppen von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi gehörten, seien von Kugeln durchsiebt worden. Bei mindestens zweien seien die Hände mit Kabelbindern gefesselt gewesen. Fünf der Toten seien in einem Feldlazarett gefunden worden. Auch Tausende ausländische Arbeiter in Libyen sehen sich nach Angaben der UN Angriffen durch die Aufständischen ausgesetzt. Vor allem Einwanderer aus Sudan, Niger und Tschad würden häufig für Anhänger Ghaddafis gehalten, sagte UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres, am Donnerstag. Mehrere hundert Menschen sollten gestern aus Tripolis mit einem von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gecharterten Schiff zunächst nach Bengasi evakuiert werden. Doch auch in der Rebellenhochburg droht ihnen Gefahr. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, hat Ermittlungen wegen der Ermordung Dutzender Schwarzafrikaner in Bengasi aufgenommen.

Fünf Tage nach ihrer Offensive haben die Kämpfer des libyschen »Nationalen Übergangsrates« Tripolis auch gestern nicht unter ihre Kontrolle bringen können. Die Lage sei weiter unübersichtlich, berichteten Einwohner. Die Gefechte konzentrierten sich offenbar auf das Gebiet um den internationalen Flughafen und mehrere Stadtviertel. An der weitgehend zerstörten Residenz von Ghaddafi, Bab Al-Asisija, wurde Berichten zufolge weiter gekämpft. Am Nachmittag meldete ein örtlicher Rebellensprecher, seine Leute hätten das Versteck des »Revolutionsführers« in Tripolis entdeckt und umgestellt. Nahezu gleichzeitig behauptete ein anderer, der Staatschef halte sich an einem Ort rund 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt auf.

Der »Übergangsrat« erklärte unterdessen, er kontrolliere bereits »90 bis 95 Prozent« des gesamten Landes. Das wies der Sprecher der bisherigen Regierung, Moussa Ibrahim, gegenüber afrikanischen Journalisten zurück. 20 Städte des Landes stünden weiter unter der Kontrolle der Dschamahirija, erklärte er, die Verteidigung werde fortgesetzt. Insbesondere um Sirte, die Geburtsstadt Ghaddafis, leisten loyale Truppen den Rebellen offenbar heftigen Widerstand.

Erstmals bestätigten Quellen im britischen Verteidigungsministerium gegenüber der Zeitung Daily Telegraph, daß bereits seit Wochen Angehörige der Eliteeinheit SAS in Libyen im Einsatz sind. Die Soldaten würden ortsübliche Kleidung tragen und die gleichen Waffen benutzen wie die Rebellen. Sie hätten bei der Koordinierung der Kämpfe in der libyschen Hauptstadt Tripolis eine »Schlüsselrolle« gespielt und den Auftrag erhalten, sich in erster Linie auf die Jagd nach Ghaddafi zu konzentrieren.

Der päpstliche Nuntius in Tripolis, Bischof Innocenzo Martinelli, erklärte am Donnerstag gegenüber dem Deutschlandfunk, das einzige Ziel des Kriegs um Libyen sei es, »die besten Förderstellen zu sichern (und) Libyens Gas- und Ölvorräte auszubeuten«. Es tue ihm leid, das »so unverblümt« sagen zu müssen, »aber der Egoismus der beteiligten Länder ist unübersehbar«.

Karin Leukefeld / Junge Welt vom 26. August 2011

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