3.Bericht der Menschenrechtsdelegation
Ab dem 15.09. haben wir uns mit einer Internationalen Delegation zur Aufklärung von Kriegsverbrechen und des Todes von Ronahi/Andrea Wolf und der Anklage der Täter in der Türkei vereint.
Bereits am 15.09. hatte der Gouverneur von Van diese Zusage zurückgezogen, weil angeblich die Sicherheit der Delegation nicht gewährleistet werden könne und Militäroperationen stattfinden würden. In einem Gespräch einer Verhandlungsgruppe mit dem Gouverneur konnte dieser keine schlüssige Erklärung für die Verhinderung der Kundgebung am Sammelgrab geben. Er verwickelte sich in Widersprüche und wurde aggressiv. Militäroperationen gab es in der Region nachgewiesener Maßen ebenfalls nicht.
Am 16.09. stoppte uns an einem Kontrollpunkt kurz nach Catak schwer bewaffnetes Militär. Ein vermeintlicher Jandarma-Kommandant zeigte uns nach mehrmaligem Insistieren auf Herausgabe einen Befehl, dass wir die Region aus Sicherheitsgründen nicht betreten könnten. Jegliches Ablichten des Befehls wurde verboten. Auf dem Befehl befand sich der Schriftzug des türkischen Geheimdienstes MIT. Im Nachhinein erfuhren wir, dass der Kontrollpunkt an dieser Stelle für uns aufgebaut wurde und die vermeintlich normalen Soldaten einer sichtlich gut geschulten Sondereinheit aus Van entstammten. Unsere Verhandlungen mit dem Kommandanten dieser Einheit sowie unsere Aktionen wurden von den Soldaten gefilmt. Sämtliche weitere Fahrzeuge konnten den Kontrollpunkt ungehindert passieren.
Wir protestierten auf schärfste gegen die politisch motivierte Verhinderungspolitik, platzierten Plakate und Bilder von den ermordeten an Häusern und Sperren am Kontrollpunkt und machten eine Sitzblockade. Die Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Nicole Gohlke (beide Die Linke) intervenierten beim Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft, der Schweizer Menschenrechtler Oskar Schmidt bei der Schweizer Botschaft. Es wurden Protestnoten bei der türkischen Regierung veranlasst. Diese blieben jedoch erfolglos. Unsere politische Einschätzung ist, dass auch die Deutsche Regierung wenig Interesse an einer Aufklärung des Mordes an Ronahi/Andrea Wolf hat, da diese internationale Verwicklungen nach sich ziehen würde. Trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die Türkei wegen Untätigkeit und Behinderung der Aufklärung des Verbrechens verurteilte, lehnen auch die Staatsanwaltschaft und das OLG Frankfurt eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Deutschland ab.
Dorfschützer und überlebende Guerillas hatten MenschenrechtlerInnen gegenüber ausgesagt, das Ronahi/Andrea Wolf nach ihrer Festnahme rassistisch beschimpft, vergewaltigt und zu Tode gefoltert wurde. Auch die weiteren Guerillas waren gefangen genommen und danach extralegal hingerichtet worden.
Wir fuhren Mittags nach Catak, übergaben der Staatsanwaltschaft eine erneute Anzeige und demonstrierten durch die Innenstadt. „Kein Krieg – Frieden sofort“, „Aufklärung der Kriegsverbrechen“ und „Sehid Namiren“ waren die Parolen.
Anschließend besuchten wir ein anderes Sammelgrab in der Nähe von Görentas. Hier waren 2 Tage vor dem Massaker an der Einheit Ronahis/Andrea Wolf 28 Guerillas in einem Hinterhalt der türkischen Armee gestorben. Die beiden Guerillaeinheiten wollten sich mit treffen. Sämtliche Guerillas bis auf eine starben in dem Gefecht. Die Überlebende wurde gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Die Soldaten übergossen die Leichen der Guerillas mit einer Chemikalie. Für diesen Vorfall gibt es zwei AugenzeugInnen. Anschließend köpften die Soldaten den von kurdischer Seite aufgrund seines Mutes verehrten Kommandanten und stellten seinen Kopf in der Stadtverwaltung von Catak zur Schau. Selbst die jetzige AKP Bürgermeistermeisterin bezeichnet das gesamte Geschehen als nachgewiesenes und unakzeptierbares Kriegsverbrechen.
An dem Sammelgrab hielten wir eine Trauerfeier für die gefallenen Guerillas und Ronahi/Andrea Wolf. In mehreren Redebeiträgen, der Verwandten, der Friedensmütter, des IHD, des IUK, der Menschenrechtsdelegation, von Einzelpersonen und einem Grußwort der Mutter Lilo Wolf gedachten wir den Ermordeten und thematisierten die politischen Zusammenhänge und die systematische Praxis der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in der Türkei. Auch das mit dem Hardliner Necdet Özel ein neuer Generalstabschef, der verantwortlich für ein Kriegsverbrechen ist, wurde in einem Redebeitrag thematisiert. Er hatte 1999 die Ermordung von 19 Guerillas in einer Höhle mit chemischen Waffen angeordnet. Das Geschehen ist filmisch dokumentiert, die Befehlskette per Funk aufgezeichnet.
Die Trauerfeier war sehr intensiv und ein gutes Zeichen der Internationalen Solidarität und des Willens zur Aufklärung der anhaltenden systematischen Kriegsverbrechen durch die türkische Armee, deren Aufklärung auch seitens internationaler Regierungen behindert wird. Im Frühjahr wird es eine weitere Delegation dieser Art geben.
Am Abend stoppten Guerillas der PKK ein Versorgungsfahrzeug von der Kaserne an der wir aufgehalten wurden, gaben dem Fahrer die Gelegenheit auszusteigen und zündeten das Fahrzeug an. Das gesamte Gebiet wurde daraufhin von Soldaten abgesperrt.
Hintergrund
Über 120 Massengräber, in denen die Leichen von mehr als 1.500 Menschen vermutet werden, zeugen von der Grausamkeit und den Kriegsverbrechen gegen KurdInnen. Seit über 10 Jahren bemühen sich die Friedensmütter, Menschenrechtsvereine und Angehörigenorganisationen wie IHD, TIHV oder MEYA-Der unter schwersten Bedingungen um eine Aufklärung der Massaker der türkischen Armee.
In anbetracht der erneuten Eskalation des Krieges und des immensen Anstiegs von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und Kurdistan, sind eine Aufklärung der begangenen und die Verhinderung von neuen Kriegsverbrechen unumgänglich. Dazu ist notwendig, dass die militärische, politische und ökonomische Unterstützung der deutschen Regierung und Waffenindustrie für die Türkei umgehend eingestellt wird.
Aus der Analyse Internationaler Konfliktlösungsprozesse wissen wir das Friedens- und Demokratisierungsprozesse nur über einen offenen Dialog aller Beteiligten – in Bezug auf die Lösung der kurdischen Frage also zwischen der Regierung der BDP, Abdullah Öcalan und der PKK – sowie eine Aufarbeitung und Verurteilung der Kriegsverbrechen möglich ist.
Hierfür ist eine Vorraussetzung, dass die fachgerechte und qualifizierte Öffnung der Massengräber im Rahmen der UN-Protokolle zur Verhinderung und Aufklärung außergerichtlicher, summarischer oder willkürlicher Hinrichtungen sichergestellt wird.
Der Aufbau einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission in der Türkei wäre ein weiterer richtiger Schritt um den Genozid und den Feminizid in der Türkei und Kurdistan ans Tageslicht zu bringen und den Weg für eine politische Lösung der kurdischen Frage zu ebnen.
Weitere Festnahmen
In der Stadt Sirnak wurden am 17.09. 60 Menschen festgenommen. Darunter Stadträte und BDP PolitikerInnen. Auch in Semdinli wurden 4 Personen, darunter der Vizebürgermeister Naif Yalçın, der BDP Vorsitzende Şuayip Sevik, der BDP Stadtrat, Mirpenç Uysal und die BDP Mitglieder Sait Kaya and Kadri Özcaner. In Istanbul nahm die Polizei, nachdem sie eine Protestkundgebung gegen die Isolierung von Abdullah Öcalan mit Tränenegasgranaten angegriffen hatte, 140 Menschen fest. In der angegriffenen Menge befand sich auch die Parlamentarierin Sebahat Tuncel.
Die Türkische Regierung hat sich für den Weg der weiteren Eskalation der Auseinandersetzung entschieden. Aufgrund geostrategischer Interessen wird sie durch die Regierungen der USA und in Europa darin unterstützt. Die KurdInnen sehen als einzigen Weg in dieser Auseinandersetzung, weiter Widerstand gegen systematisches Unrecht zu leisten.
Quelle Bildmaterial: ANF